Zürcher Regierung im Sandwich (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Das Paket zur Reduktion der Zürcher Fluglärm-Betroffenen enthält wirksame Massnahmen, aber zur Umsetzung hat die Regierung fast nichts zu sagen.

Von Adrian Krebs

Was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen, ist nun Realität. Schon im ersten vollen Jahr seiner Anwendung hat der Zürcher Fluglärmindex (ZFI) den Richtwert von maximal 47 000 Personen, die sich vom Fluglärm stark gestört fühlen dürfen, deutlich überschritten. Der anfänglich als Papiertiger gescholtene ZFI, der 2007 als Gegenvorschlag in der Plafonierungs-Abstimmung obsiegte, ist damit schneller als erwartet zum Taktgeber in der Flughafenpolitik avanciert. Und dies, obwohl die Wirtschaftskrise bereits im Berichtsjahr 2008 zu einer Reduktion des Flugbetriebs geführt hat.

Beschränkter Einfluss in allen Fragen
Wie vom Gesetz vorgeschrieben, hat nun die Regierung ein Massnahmenpaket zusammengezimmert, um den Index schnellstmöglich wieder unter den Richtwert zu drücken. Ihre Rezeptsammlung enthält Massnahmen, die beim Flugbetrieb ansetzen, und solche, die via Raumplanung Remedur bringen sollen. Man will, kurz zusammengefasst, dafür sorgen, dass möglichst lärmarme Flugzeuge zu Zeiten mit möglichst niedrigem Ruhebedürfnis über möglichst dünn besiedelte Schneisen fliegen.

Wichtigste Erkenntnis aus der gestrigen Präsentation ist aber nicht der Inhalt des Pakets, sondern die Machtlosigkeit, mit der die Regierung bei der Verfolgung dieser Ziele konfrontiert ist. Die wichtigsten Entscheidungsträger sind der Bund, die Gemeinden, Deutschland, die Fluggesellschaften und die Flughafen Zürich AG. Der Standortkanton hält in der Betreibergesellschaft zwar eine Drittelminderheit; Einfluss nehmen kann er aber trotz seinen drei Mandaten im Verwaltungsrat nur beschränkt – nämlich dort, wo es um Änderungen am Pistensystem geht, die zwingend dem fakultativen Referendum zu unterstellen sind. Zudem muss die Zürcher Regierung bei ihren Entscheiden stets auch die Prosperität des Flughafens im Auge behalten, der als wichtiger Wirtschaftsmotor der lärmbetroffenen Bevölkerung auf anderer Ebene von Nutzen ist.

Wie stark der Regierung die Hände gebunden sind, zeigt sich deutlich, wenn man die angedachten Handlungsoptionen im Einzelnen betrachtet:

Eine künstliche Beschränkung der Flugbewegungen ist von der Zürcher Bevölkerung im November 2007 deutlich verworfen worden. Mit dem Ja zum ZFI hat der Souverän lediglich angeordnet, dass bei einer Zahl von 320 000 Bewegungen jährlich ein Marschhalt vorgenommen werden muss. Davon war man 2008 mit gut 270 000 Bewegungen meilenweit entfernt.

Die Verlängerung der Nachtflugsperre auf 7 Stunden, wie sie der Flughafen schon 2003 vorgeschlagen hat, kann derzeit nicht realisiert werden, weil das entsprechende Betriebsreglement durch Beschwerden blockiert ist. Eine weitere Verschärfung könnten höchstens der Flughafen und der Bund einführen. Sie kann aber keine Option sein, weil dadurch die Hub-Funktion der Zürcher Drehscheibe massiv beeinträchtigt, wenn nicht gar verunmöglicht würde.

Der lärmgünstige Flottenmix wiederum ist weitgehend Sache der Fluggesellschaften. Hier sorgt technischer Fortschritt für eine ständige Verbesserung. Dazu sollte der Flughafen Zürich die lärmabhängigen Landegebühren anpassen, um entsprechenden Anreiz zu schaffen. Den Handlungsbedarf hat nach der Regierung nun offenbar auch der Flughafen erkannt, aber Entscheidungen stehen noch aus.

Was die Flugrouten über dünn besiedeltem Gebiet angeht, wären die beste Lösung eine Entschärfung des deutsch-schweizerischen Konflikts und eine Lockerung der harten Flugverbote über dem Territorium des Nachbarlands. Hier steht der Bund in der Hauptverantwortung. Kontakte zwischen Zürich und Baden-Württemberg können zwar hilfreich sein, die massgeblichen Entscheide fallen aber in Bern und vor allem in Berlin.

Verpflichtet zu stetigem Aktivismus
In der Frage der Raumplanung und der Bremsung des Bevölkerungswachstums schliesslich beisst der Kanton erneut auf Granit. Zwar kann er via Richtplan ein bisschen Einfluss nehmen. Hier sitzen aber der Bund und die Gemeinden an den längeren Hebeln. Massgeblich für Bauverbote ist die eidgenössische Lärmschutzverordnung (LSV), ZFI hin oder her. Wo die LSV-Grenzwerte nicht überschritten sind, können die Gemeinden schalten und walten, wie sie wollen. Im Verlaufe der Auseinandersetzung über die zukünftige Bautätigkeit haben sie bereits mehrmals klargemacht, dass sie nicht daran denken, sich ihre Autonomie beschneiden und die Sündenbockrolle für die ZFI-Überschreitung zuschreiben zu lassen.

Trotz dieser Sandwichposition verharrt die Zürcher Regierung richtigerweise nicht tatenlos. Sie ist durch den ZFI zu einem stetigen Aktivismus verpflichtet, der möglicherweise dereinst mit zu einem nachhaltigen Interessenausgleich zwischen wirtschaftlichem Nutzen und Zufriedenheit der Lärmbetroffenen führen wird. Das wäre kein schlechtes Ergebnis der mühseligen Arbeit.

NZZ, 05.11.2009


siehe auch:
Medienmitteilung Überschreitung des ZFI (VFSN)
ZFI durchbricht die Limite (ZOL)
Zürcher Fluglärm-Index 2008 erneut angestiegen – Massnahmenkonzept liegt vor (RR)
Parteien wollen Nachtruhesperre (ZOL)
Wo bleibt der Zürcher Regierungsrat? (TA)
ZFI kann eingehalten werden! (VFSN, 04.06.2009)