«Wir müssen für den Lärmstreit im nächsten Jahr eine Lösung finden» (Sonntag)

Publiziert von VFSNinfo am
Thomas Kern, CEO des Flughafens Zürich, über Südanflüge, ein Ruhefenster für Deutschland und Hugo Chavez

VON ARTHUR RUTISHAUSER UND BENJAMIN WEINMANN

Vergangenen Sonntag lehnte das Zürcher Stimmvolk die «Fairfluginitiative» ab. Sie fuhren einen leichten Sieg ein, denn bei der Verteilungsinitiative war absehbar, dass viele Leute zusätzlich vom Lärm betroffen gewesen wären. Nächsten Sommer müssen Sie für eine Pistenverlängerung kämpfen. Das ist doch politisch unmöglich.
Das sehe ich nicht so. Bei einer Pistenverlängerung, die in einer der drei noch im SIL-Prozess verbliebenen Varianten nötig wäre, ginge es darum, ein Betriebsverfahren zu ermöglichen, bei welchem insgesamt weniger Menschen vom Lärm betroffen sind. Das ist die so genannte Variante Jopt mit einem Nord-Ost-Konzept und einem Ruhefenster für Landungen von Norden.

Wie lange wäre diese Ruhezeit?
Das wird momentan noch genau definiert, es geht aber um ein mehrstündiges Ruhefenster zwischen 10 und 16 Uhr.

Ohne Südanflüge?
Nein, nicht ganz, aber es gäbe eine wesentliche Entlastung für den Süden. Für die Umsetzung der Variante Jopt ist aber eine Einigung mit Deutschland Voraussetzung.

Eine solche Einigung ginge auf Kosten der Anwohner im Osten.
Rein quantitativ und neutral betrachtet belastet diese Variante mit einer Verlängerung der Piste 28 am wenigsten Menschen mit Fluglärm. Darum ist diese Variante betrieblich die beste.

Haben Sie Anlass zu glauben, dass sich die Schweiz mit Deutschland in naher Zukunft darauf einigen wird?
Wir erwarten noch dieses Jahr die Resultate der gemeinsamen Lärmberechnungen der deutsch-schweizerischen Expertengruppe. Dann sehen wir, wie gross die Lärmbelastung in Deutschland und in der Schweiz ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Schweiz letztes Jahr aufgefordert, basierend auf den Erkenntnissen einen Vorschlag für ein neues Flugregime zu unterbreiten.

Glauben Sie wirklich an die Vernunft im Lärmstreit?
Ich gebe grundsätzlich keine Prognose ab. Ich bin aber der Meinung, dass wir im nächsten Jahr aufgrund der neuen Berechnungsresultate und des entsprechenden Vorschlags eine Lösung finden müssen.

Was passiert mit den Entschädigungsforderungen der Südanfluggegner?
Momentan bestehen nur Forderungen aus dem so genannten alten Süden der späten Neunzigerjahre. Diese haben mit den Südanflügen nichts zu tun. Da sind wir daran, nachdem das Bundesgericht die offenen Fragen anhand der Pilotfälle in Opfikon geklärt hat, Entschädigungen zu bezahlen.

Die sind doch irrelevant. Richtig ins Geld geht es, wenn Sie den Betroffenen der Südanflüge Entschädigungen zahlen müssen. Das geht in die Milliarden.
Bei den derzeitigen Entschädigungsforderungen gehen wir von Zahlungen in der Höhe von insgesamt 760 Millionen Franken aus, das ist meines Erachtens nicht irrelevant. Bei den neuen Forderungen ist noch kein Bundesgerichtsentscheid gefällt. Kommt dereinst eine Lösung wie Jopt, dann wären sie wohl gegenstandslos.

Sie sind Optimist im Lärmstreit, im Sommer haben Sie sich auch optimistisch zum Fluggeschäft geäussert. Zu Recht: Im August hatten Sie bereits wieder etwas mehr Passagiere (+0,2%) als im Vorjahr. Bilden die Flugzahlen den Wirtschaftsaufschwung ab?
Schön wärs. Ich weiss es nicht. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass wir uns auf dem aufsteigenden Ast befinden.

Worauf basiert dieses Gefühl?
Auch bei der Fracht hat sich die Situation stabilisiert, auf tiefem Niveau zwar, aber immerhin. Während der Herbstferien rechnen wir mit ähnlich vielen Passagieren wie im letzten Jahr. Wir stellen fest, dass die Spitzenauslastung am Flughafen unverändert hoch ist. Die Airlines berichten, dass die Passagiere tendenziell später und eine billigere Klasse buchen.

Der Flughafen Zürich ist das zweitgrösste Einkaufszentrum der Schweiz. Dieses Jahr sind zwei neue Geschäfte eingezogen. Eine Verkaufsstelle des Brezelkönigs haben Sie nun noch unter die Rolltreppe im Check-in 3 gequetscht. Ihnen geht der Platz aus.
Wir quetschen keine Geschäfte irgendwo unter. Das Airport Shopping besticht gerade durch seine luftige Architektur. Unser Shoppingstandort ist äusserst attraktiv, vor allem, weil er gut erschlossen ist und wir lange Öffnungszeiten haben. Sowohl auf der Land- wie auch auf der Luftseite gibt es Interessenten, die bei uns Geschäfte eröffnen möchten. Der Platz ist aber begrenzt, deshalb müssen wir laufend optimieren, neue Flächen erschliessen und neue Konzepte aufnehmen.

Das heisst, Sie werfen die Geschäfte raus, die zu wenig Umsatz generieren?
Nein, wir werfen keine Geschäfte raus. Im Vordergrund steht nicht primär der Umsatz, sondern die Tatsache, dass der Branchenmix für die Kundschaft attraktiv bleibt. Bevor ein Vertrag ausläuft, suchen wir das Gespräch mit dem Konzessionär. Wir geben ihm die Möglichkeit, das Geschäft selber mit Investitionen zuoptimieren und bessere Angebote zumachen. Ist das nicht möglich, kann es auch zu einem Wechsel kommen.

Sie profitieren davon, dass Ihr Shoppingcenter sieben Tage pro Woche bis spätabends geöffnet hat. Würden die Ladenöffnungszeiten liberalisiert, würden viele Ihrer Kunden abwandern.
Es wäre sicher nicht förderlich für unseren Umsatz. Ich bin aber überzeugt, dass die Kunden auch dann zu uns kämen, vor allem wegen der Erreichbarkeit und der Parkmöglichkeiten. Nur schon die rund 24 000 Mitarbeitenden am Flughafen sind ein wichtiges Kundensegment.

Ab wann dürfen ankommende Passagiere duty-free einkaufen?
Wir gehen davon aus, dass das Geschäfti m Idealfall auf politischer Ebene bis Herbst 2010 bewilligt wird und wir ab 2011 das Arrival duty-free einführen können. Dadurch könnten wir etwa 60neue Stellen schaffen und den Umsatz um einen zweistelligen Millionenbetragsteigern. Bis Ende August hatten wir 5,7Prozent weniger Kommerzumsatz - insofern könnten wir solche Zusatzeinnahmen sehr gut gebrauchen.

Und jetzt wollen Sie noch grösser werden. Sie halten nach wie vor am Milliarden-Projekt «The Circle» fest - trotz Rezession?
«The Circle at Zürich Airport» ist kein Einkaufszentrum, sondern zur Hälfte für Hauptsitze und Büros, zu einem Viertel für Hotel- und Service-Apartments, und der letzte Viertel für zukunftsträchtige, qualitativ hochwertige Dienstleistungen aus dem Gesundheits- und Schönheitsbereich. Geplant sind auch Kongressräume.

Verträgt das die Region wirklich? Es gibt doch schon viele leere Büros.
Am Flughafen selbst ist die Vermietungssituation trotz der Krise sehr gut. Wir können das Projekt zudem etappieren, falls die Nachfrage ausbleiben sollte. Im Januar 2010 erküren wir den Sieger des derzeit laufenden Architekturwettbewerbs. Der Spatenstich ist frühestens im Jahr 2012 und die erste Etappeneröffnung 2016 geplant.

Sind Sie dann noch Flughafen-Chef?
Das hoffe ich sehr. Wir werden den Spatenstich aber nur machen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Das Projekt muss attraktiv sein, unsere Rentabilitätsziele müssen erreicht werden und eine gewisse Anzahl Mieter muss gesichert sein.

Wer finanziert das Projekt?
Das ist noch nicht entschieden.

In Südamerika sind Sie in einen juristischen Konflikt mit Venezuela geraten.
Ja, Venezuela hat uns beim Flughafen auf der Isla de Margarita zwangsenteignet. Nun untersucht das internationale Schiedsgericht in Washington D.C. den Fall. Wir fordern Schadenersatz für unsere bereits abgeschriebene Beteiligung sowie den entgangenen Gewinn für die Vertragsdauer.

Haben Sie Präsident Hugo Chavez deswegen schon persönlich kontaktiert?
Ja, ich habe ihm einen Brief geschrieben, er hat mir aber noch nicht geantwortet.

Sie haben diese Woche beschlossen, auf den Firmennamen Unique zu verzichten und sich nur noch Flughafen Zürich zu nennen. Würden Sie sich freuen, wenn die Swiss wieder Swissair heissen würde?
Nein, ich fände den alten Schriftzug heute etwas altmodisch. Die Swiss ist eine sehr gute Nachfolgerin.

Sonntag, 04.10.2009, Seite 24"