Gemeinden, Bund und Flughafen lassen den Kanton im Regen stehen (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Regierungsrat muss die Probleme mit dem Zürcher Fluglärmindex (ZFI) selber lösen

Vor kurzem haben die Zürcher Gemeinden erklärt, dass sie keinen Finger rühren würden, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen und so den ZFI zu senken.
 Auch der Bund und der Flughafen betrachten den fast überschrittenen Richtwert als Problem, das sich die Regierung selber eingebrockt hat und deshalb alleine bewältigen muss.

ark. Der Zürcher Fluglärmindex (ZFI) ist aus der Not geboren. Regierungsrätin Rita Fuhrer hatte ihn im August 2006, gut ein halbes Jahr vor der Kantonsratsdebatte über die Plafonierungsinitiative, aus dem Hut gezaubert. Ihr später vom Volk klar gutgeheissener Gegenvorschlag begrenzt nicht die Zahl der Flugbewegungen, sondern diejenige der stark vom Fluglärm belästigten oder schlafgestörten Personen. Ermittelt wird deren Zahl mittels einer Formel, die von der Empa in Dübendorf errechnet worden ist.

Entgegen den Erwartungen der Promotoren des ZFI droht sich dieser nun zu einem Bumerang zu entwickeln. Bereits 2007 war der Richtwert von 47 000 um nur noch 700 Personen unterschritten worden, wie die Regierung im November mitteilen musste. Weil die Flugbewegungen – auch in den sensiblen Nachtstunden – noch einmal klar zugenommen haben, kann man davon ausgehen, dass die Grenze im letzten Jahr überschritten wurde, auch wenn die Zahlen noch nicht vorliegen. Dieser Sachverhalt zwingt die Regierung dazu, Massnahmen zur Senkung der Zahl stark belästigter Personen zu ergreifen. Dazu gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten. Entweder beschränkt man die Bautätigkeit und damit das Bevölkerungswachstum rund um den Flughafen, oder man begrenzt den Flugbetrieb (genau das, was die Regierung mit dem ZFI zu vermeiden suchte), oder man schraubt an der Formel oder erhöht den Richtwert, was allerdings so kurz nach der Zustimmung durch das Volk etwas delikat wäre.

Schutzverband: «Ein hilfloses Mittel»

In ihrer Notlage hat die Regierung kürzlich die 90 Gemeinden im ZFI-Untersuchungsgebiet angeschrieben, um sich zu erkunden, ob diese bereit wären, mittels raumplanerischer Massnahmen ihre Bautätigkeit zu limitieren. Das Ergebnis war ernüchternd: «Den Antworten der Gemeinden kann ausnahmslos die Haltung entnommen werden, dass der ZFI (. . .) kein Grund ist, um von bestehenden Entwicklungsabsichten Abstand zu nehmen», schrieb die Regierung in der Antwort auf eine Anfrage von Kantonsrat Martin Arnold (svp., Oberrieden). Dagegen sind die betroffenen Gemeinden mehrheitlich der Meinung, dass die Folgen einer Richtwert-Überschreitung wegen der Bevölkerungsentwicklung durch den Flugbetrieb zu tragen seien. Mitverantwortlich für das negative Echo ist Schutzverbands-Präsident Peter Staub, der den Gemeinden eine viel verwendete Vorlage für eine ablehnende Antwort zugestellt hat. Er nimmt kein Blatt vor den Mund: «Was die Regierung angezettelt hat, soll sie selber ausbaden», schimpft er. Das Instrument ZFI an sich sei nicht schlecht, aber es sei ein «hilfloses Mittel» beim Versuch, den Lärmkonflikt zu entschärfen.

Auch vom Bund erhält die Zürcher Regierung keinen Sukkurs. «Für uns ist der ZFI nicht massgeblich», distanziert sich Anton Kohler vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl), relevant seien für den Bund die eidgenössische Lärmschutzverordnung und international anerkannte Messwerte wie der Durchschnitts-Schallpegel LEQ. «Wenn der Kanton Zürich aber etwas anderes rechnen will, dann kann er das», ergänzt er. Am Flughafen Zürich macht man auch kein Hehl aus der Ablehnung des ungeliebten Messinstruments: «Wir haben den ZFI noch nie unterstützen können», sagt Sprecher Marc Rauch. Grundsätzlich betrachte man die Luftfahrt sowieso als Bundessache und nicht als Angelegenheit des Kantons.

Swiss fürchtet Abkoppelung Zürichs

In der Volkswirtschaftsdirektion gibt man sich zugeknöpft: Bis im November werde man zu allfälligen Massnahmen zur Senkung des ZFI keine Stellung nehmen. Einige Aufschlüsse erlaubt die erwähnte Antwort auf die Anfrage Arnold. Alle Massnahmen, welche die Hub-Funktion des Flughafens gefährdeten – namentlich eine Plafonierung –, kämen nicht in Frage, heisst es dort. Ausser Diskussion stehe auch das «Schräubeln» an der Formel, wie es da und dort hinter vorgehaltener Hand angeregt wird: «Eine geringere Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung im ZFI-Monitoring-Wert (. . .) ist nicht vorgesehen.» Favorisiert werden dagegen – mit wenig Chancen – die Bekämpfung des Fluglärms an der Quelle, das heisst beim Flugzeug, und raumplanerische Massnahmen. Ersteres ist ein Ziel mit mindestens mittelfristigem Realisierungshorizont, gegen den zweiten Punkt wehren sich die Gemeinden wie erwähnt mit Händen und Füssen.

SVP-Kantonsrat Lorenz Habicher, einer der vehementen ZFI-Befürworter, bleibt optimistisch. Er setzt auf die Auswirkungen der Krise: «Dank der Rezession nimmt der Flugverkehr ab, und damit bleiben wir unter dem Richtwert», prognostiziert er. Swiss-Chef Christoph Franz kann mit dieser Argumentation nichts anfangen. Beim ZFI bestehe trotz schwacher Konjunktur weiterhin grosser Handlungsbedarf, sagte er in einem Interview mit der NZZ vom vergangenen Samstag. Dem Flughafen drohe mit den Massnahmen nicht weniger als die Abkoppelung von der weltwirtschaftlichen Entwicklung des Flugverkehrs.


Aus Deutschland nichts Neues

ark. Wie sich der ZFI in den nächsten Jahren entwickelt, das hängt unter anderem auch vom Erfolg allfälliger neuer Verhandlungen mit Deutschland zur Lockerung der einseitigen deutschen Verordnung ab. Mit einer Reduktion der Sperrzeiten könnte ein Teil der Südanflüge über bevölkerungsärmeres Gebiet gelegt und damit die Zahl der stark belästigten Personen reduziert werden. Zurzeit sind aber noch keine Verhandlungen im Gang. Laut Daniel Göring, dem Sprecher des Bundesamts für Zivilluftfahrt, ist eine mit deutschen und schweizerischen Experten bestückte Arbeitsgruppe nach wie vor damit betraut, gemeinsame Lärmberechnungen rund um den Flughafen Zürich vorzunehmen. Auf der Basis der Ergebnisse, die bis im kommenden Herbst vorliegen sollen, wird die Schweiz im Hinblick auf eine neue Verhandlungsrunde (Lockerungs-)Vorschläge erarbeiten. Diese Vorgehensweise war beim Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Schweiz Ende April 2008 vereinbart worden.

Langwierig gestaltet sich auch der Weg zum neuen Objektblatt Zürich des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Laut Göring ist mehr als unsicher, ob der bisher genannte Termin für ein Objektblatt, Ende 2010, eingehalten werden kann. Grund dafür sei nicht nur die Langsamkeit der Berner Amtsmühlen, sondern auch die zeitaufwendige Abstimmung mit der Kantonalzürcher Richtplanung. Nächster Schritt im SIL-Prozess ist die Präsentation des Entwurfs des Schlussberichts vor den heurigen Sommerferien. Der fertige Schlussbericht bildet dann die Basis für das Objektblatt Zürich.

NZZ, 03.06.2009