Tricksereien am Himmel über Deutschland (Südkurier)

Publiziert von VFSNinfo am
Mit einer Verfassungsänderung will die Bundesregierung die Arbeit der Schweizer Flugsicherung Skyguide im Südwesten legalisieren.

„Wir haben nicht immer die richtigen Worte zur richtigen Zeit gefunden. Ich hoffe und bitte, dass man mir dafür verzeiht." – Als Alain Rossier, Ex-Chef der Schweizer Skyguide, sich in dieser Zeitung vor den Opfern der Flugzeugkatastrophe von Überlingen verneigte, waren fünf Jahre seit dem Unglück mit 71 Toten verstrichen.

So lange hatte es gedauert, bis der frühere Losten-Chef dies ungestraft sagen durfte. Erst nach dem Urteil gegen mehrere Skyguide-Bedienstete war das anders.

Skyguide: Bislang verfassungswidrig

Bis heute lenkt die Schweizer Flugsicherung, einst wegen ihrer Zuverlässigkeit gelobt, den Luftverkehr auch über weiten Teilen Süddeutschlands. Ein Zustand, der nach übereinstimmender Expertenmeinung verfassungswidrig ist. Für dessen „Legalisierung" der Bundestag aber am 28. Mai die Verfassung ändern will.

Was offenbar seit Monaten vorbereitet wurde, soll kurz vor der Bundestagswahl in den Parlamenten durchgereicht werden. Politiker aus SPD und Union setzen – unter Duldung der Grünen und der FDP – mit großer Eile auf eine Neufassung des Paragrafen 87 d.

Darin war bisher die Rede davon, dass die Flugsicherung über Deutschland zwingend einer bundeseigenen Verwaltung unterliegen muss. Schon deshalb, weil die Bundesrepublik auch für jeden Fehler im eigenen Hoheitsgebiet haftet, wie das Flugzeugunglück von Überlingen gezeigt hatte.

Das neue Konstrukt sieht nun vor, dass auch ausländische Flugsicherungen über Deutschland rechtmäßig tätig werden dürfen, die nach Ansicht einiger Betreiber der Gesetzesänderung längst „verfassungswidrig" tätig sind. Insbesondere Skyguide.

Süddeutschland stellt sich gegen "Lex Skyguide"

Doch das Vertrauen gegenüber dem Schweizer Flugsicherungsunternehmen ist im Süden Deutschlands bis heute schwer angeschlagen. Nach einer Reihe von Pannen und Schlampereien, die zur Katastrophe von Überlingen führten, wurden auch später Fehler sichtbar. Ein Gutachten des niederländischen Luft- und Raumfahrtkonzerns (NLR) analysierte 2003 die damals löchrige Sicherheitskultur.

Inzwischen wurden Konsequenzen gezogen, Skyguide arbeitete erfolgreich an sich. Eine Aufsicht deutscher Behörden über das grenzüberschreitend tätige Unternehmen gibt es freilich nicht. Und selbst das Bundesverkehrsministerium zeigte sich kürzlich auf eine Anfrage uninformiert über die damaligen Sicherheitslücken. Weitere Unregelmäßigkeiten seit 2002 habe es nicht gegeben, ließ Staatssekretär Kasparick verlauten.

Alarmiert über die anstehende Verfassungsänderung zeigt sich nicht nur die Linke im Bundestag, die als einzige geschlossen Nein sagt. Auch die Chefs von 14 Stadt- und Landkreisen Süddeutschlands zwischen Freiburg und Ulm wandten sich mit einem Aufschrei nach Berlin. Sie repräsentieren mehr als 2,6 Millionen Einwohner, über deren Sicherheit Skyguide wacht. Ihr Appell zur Ablehnung der „Lex Skyguide" wurde zumindest gehört.

Freilich warnen auch namhafte Juristen vor einer Grundgesetzänderung. So bezeichnete der Tübinger Verwaltungsrechtler Michael Ronellenfitsch das Vorhaben bei einer Anhörung des Verkehrsausschusses als „verfassungswidriges Verfassungsgesetz".

Das „Herummanipulieren" am Grundgesetz sei ein „Armutszeugnis für den deutschen Parlamentarismus, wenn wir vor europäischen Vorgaben einen Kotau machen". Konsequenzen in anderen sensiblen Bereichen, etwa der inneren Sicherheit, wären durchaus denkbar.

"Gelungener Entwurf"

Großes Interesse an der Verfassungsänderung im Schweinsgalopp zeigen der Chef der Deutschen Flugsicherung (DFS), Dieter Kaden, und die deutschen Fluggesellschaften. Als die Privatisierung vor zwei Jahren unter dem Eindruck der Folgen von Überlingen an Bundespräsident Horst Köhler scheiterte, „kam sofort aus dem politischen Bereich: Dann ändern wir jetzt das Grundgesetz", erinnerte sich Verdi-Gewerkschafter Arne von Spreckelsen in der Ausschuss-Anhörung.

Joachim Wieland, Professor für Finanz- und Steuerrecht, beriet die DFS seither eng in dieser Frage. Kaum erstaunlich: Was die Bundesregierung jetzt als Gesetzestext präsentiert, nennt sogar DFS-Chef Kaden einen „gelungenen Entwurf".

Die FDP, selbst für die Privatisierung der Deutschen Flugsicherung, lud Wieland wiederum nach Informationen des SÜDKURIER zur Anhörung in den Verkehrsausschuss - als Sachverständigen. Auf parlamentarischer Ebene trommelten derweil die Abgeordneten Norbert Königshofen, Essen, und Dirk Fischer, Hamburg, für eine Grundgesetzänderung, beide CDU. Sie sitzen zugleich im Beirat der DFS.

Der Südwesten sorgt sich

Königshofen rügte die Kleinstaaterei am Himmel, an der Deutschland erheblichen Anteil habe. Es stehe dem einheitlichen Luftraum über Europa („Single European Sky") massiv entgegen, befand er. Insbesondere der obere Luftraum jenseits von 4000 Metern brauche größere „Luftraumblöcke", um Zeit und Sprit zu sparen und um die Sicherheit zu verbessern.

Die DFS bildet jedoch schon heute einen solchen Block, so dass Kritiker vermuten, dass die „Lex Skyguide" eine Hintertür zu der schon lange erwünschten Privatisierung öffnen soll. Mit einem schlichten Kunstgriff: „So, wie die DFS künftig Skyguide beauftragen soll, könnte sie bald auch eine andere private Flugsicherung im In- oder Ausland zur Sicherung des deutschen Himmels beauftragen", vermutet Rolf Weckesser von der Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung im Landkreis Waldshut.

Am Ende stünde so oder so die Privatisierung. Vor allem die SPD, die bislang dagegen war, wäre blamiert, so Weckesser, der alle 614 Bundestagsabgeordneten über diese durchaus reale Möglichkeit schriftlich informiert hat.

Zwischen Hochrhein, Schwarzwald und Bodensee wächst indes die Sorge, eine Legalisierung der Arbeit Skyguides im süddeutschen Luftraum würde für die Bevölkerung zu deutlichen Mehrbelastungen führen. So wurden bereits von Schweizer Seite neue An- und Abflugrouten für den eigenen Flughafen Zürich in Aussicht gestellt. Auch Konstanz und der Bodensee wären davon betroffen, sorgen sich informierte Kreise.

Wenn es um Details geht, vertrösten die Betreiber der Gesetzesänderung aber auf spätere Lösungen. Doch hier steckt der Teufel im Detail. Wer soll künftig die Schweizer Skyguide kontrollieren, die in vier verschiedenen Lufträumen aktiv ist? Wer haftet für mögliche Unglücke bei Pannen und Schlampereien?

Der Widerstand wächst

Der Widerstand gegen eine übereilte Verfassungsänderung wächst. Während FDP-Landeschefin Birgit Homburger bereits in einer Anfrage erkennen lässt, dass sie eine Zuspitzung des Fluglärmstreits nicht dulden würde, melden sich die südbadischen Abgeordneten Siegfried Kauder, Thomas Dörflinger und Andreas Jung (alle CDU) sowie Rita Schwarzelühr-Sutter und Peter Friedrich (SPD) lautstark gegen die Pläne zu Wort.

Unterstützung kommt auch von der CDU/FDP-Landesregierung in Stuttgart, die gerade wegen Skyguide ihre massiven Bedenken im Bundesrat einbrachte.

Die Alternative liegt indes aus Sicht des Konstanzer Abgeordneten Andreas Jung auf der Hand: „Wir brauchen keine Grundgesetzänderung. Es reicht eine Regelung, nach der die staatliche Deutsche Flugsicherung über Grenzen hinweg mit anderen Flugsicherungen kooperiert." Dann wären alle problematischen Bereiche entschärft. Eine Privatisierung durch die Hintertür indessen wäre dann zum Leidwesen der DFS auch vom Tisch.

Südkurier, 14.05.2009


Kommentar VFSN: An der befürchteten Mehrbelastung für den Süddeutschen Raum ist eigentlich nicht die schweizer Skyguide schuld, sondern die deutschen Fluggesellschaften die auf schweizer Boden einen deutschen (Ballermann)Hub betreiben.