Gemeinden locken immer mehr Steuerzahler in die Fluglärmzone (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Kritik von Rita Fuhrer lässt die Flughafengemeinden kalt. Trotz steigender Lärmbelastung wollen sie weiterwachsen.

Von Stefan Häne und Patrick Kühnis

Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer (SVP) kritisierte am Dienstag die Gemeinden in der Flughafenregion, die trotz der Lärmbelastung neue Steuerzahler anlocken. «In besonders lärmigen Gebieten Baubewilligungen für Wohnungen zu erteilen und sich dann über Lärm zu beklagen, ist nicht sehr ehrlich.» Der Kanton prüfe nun, wie er die Entwicklung dieser Gemeinden stärker beeinflussen könne. «Es stellt sich die Frage, ob sie wirklich alle Baulücken füllen müssen.»

Auslöser für Fuhrers Seitenhieb waren die jüngsten Zahlen des Zürcher Fluglärm-Index (ZFI). Das Bevölkerungswachstum macht rund ein Fünftel des gesamten ZFI-Anstiegs auf 46\'300 Personen aus. Die Zahlen belegen, dass zwischen 2006 und 2007 überdurchschnittlich viele Menschen in die Flughafenregion gezogen sind – sogar in Gegenden mit Alarmwert. Das Bevölkerungswachstum betrug dort seit dem Jahr 2000 rund 13 Prozent, der kantonale Durchschnitt lag bei 5 Prozent. In diesem Befund sieht Fuhrer ein Indiz dafür, dass sich die Bevölkerung vom Fluglärm womöglich weniger belästigt fühlt, als Politiker und Interessengruppen stets behaupten.

In Spreitenbach, das neuerdings spätabends stark belärmt wird, kommen Fuhrers Aussagen nicht gut an. «Sie zielen an der Realität vorbei», sagt Gemeindeammann Rudolf Kalt (CVP). Die Bautätigkeit in der Aargauer Gemeinde mit ihren 10\'500 Einwohnern sei verhältnismässig bescheiden. «Wir wachsen nur in kleinen Schritten.» Zudem sei Spreitenbach auch nicht in einem Fluglärm-Verband organisiert.

Kloten: «Fuhrer hat Recht»

René Huber, Stadtpräsident von Kloten, kann mit Fuhrers Vorwurf hingegen «gut leben». Fuhrer habe mit ihrer Kritik im Kern Recht. «Wir rücken von unserem Kurs trotzdem nicht ab», stellt der SVP-Politiker klar. Auf der einen Seite vertrete der Stadtrat die berechtigten Interessen der Lärmgeplagten; die Stadt Kloten sei deshalb Mitglied im Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich und im Zusammenschluss «Region Ost».

Auf der anderen Seite gelte es, bei Wohnbauten die bestehende Bau- und Zonenordnung optimal ausnutzen. Die Folge: In Kloten hat – nicht zuletzt wegen der Neuzuzüger – die Zahl der in den Abendrandstunden belästigten Personen binnen eines Jahres von 2000 auf 2500 zugenommen (siehe Tabelle). Lärmklagen erhält Huber aber meistens von Bewohnern, die schon vor Einführung der forcierten Ostanflüge – also vor 2003 – in Kloten gewohnt haben. «Die Neuzuzüger sind in der Regel toleranter gegenüber dem Fluglärm.»

Auch in der Gemeinde Bassersdorf raubt der Fluglärm immer mehr Menschen den Schlaf. 2007 waren es 818, rund 50 Prozent mehr als 2006. Im gleichen Zeitraum ist die Bevölkerung um 7 Prozent auf über 10\'000 Einwohner gewachsen. Gemeindepräsident Franz Zemp (FDP) spricht zwar von einer «ambivalenten Situation», sieht aber keinen Widerspruch zwischen Fluglärmschutz und Wachstumsstrategie. «Wir wollen moderat weiterwachsen.» Das Lärmempfinden sei individuell. Es gebe in Bassersdorf beispielsweise Neuzuzüger, die einfach nur froh seien, dem Verkehrslärm der Stadt Zürich entronnen zu sein.

Tages-Anzeiger, 17.12.2008