Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Fluglärm Am 30. Oktober jährt sich die Einführung der Südanflüge zum fünften Mal

Fünf Jahre Südanflug – ein Jubiläum, das viele am liebsten gar nicht «feiern» würden.

Schneiser wie Thomas Morf denken aber nicht ans Aufgeben.
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Andreas Schürer / Daniel Fritzsche

Am 30. Oktober steht das «5- Jahr-Jubiläum» der Südanflüge an. Haben sich die Bewohner in der Anflugschneise inzwischen an den Lärm gewöhnt? «Keineswegs », sagt Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein (VFSN). Und auch sein Ärger sei eher noch grösser geworden. Er meint: «Es ist ein Skandal, dass sich Politik und Gerichte verweigern.» Die vor fünf Jahren eingereichten Einsprachen seien bis heute noch nicht behandelt worden und würden wohl so lange verzögert, bis die Südanflüge durch den neuen Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) legalisiert seien. Und der gekröpfte Nordanflug sei aus Angst vor Deutschland abgeschmettert worden, obwohl er technisch sicher fliegbar sei. Trotzdem: Morf sieht auch Hoffnung für die Schneiser, und die Hoffnung hat sogar einen Namen – Single European Sky. Das Projekt beinhaltet Lösungsansätze, wie das bis im Jahr 2020 erwartete starke Wachstum der Flugbewegungen in Europa bewältigt und die CO2-Belastung trotzdem um 10 Prozent gesenkt werden kann. Die Lösung: Direktere Flugrouten und steilere Landungen mit neuen Anflugtechnologien wie dem so genannten Continuous Descent Approach. «Dass wie beim Südanflug Umwegschlaufen in die Voralpen geflogen werden, liegt dann nicht mehr drin», sagt Morf. Im Gespräch mit Politikern und in Vorträgen weibelt er dafür, dass die Schweiz aktiv an der Gestaltung dieses Projekts mitmacht; bislang ohne Erfolg. Sein Urteil: «Die Schweizer Luftfahrt war einst in einer Pionierrolle, heute ist sie in einer Krise: Jede neue technologische Entwicklung wird verweigert.» Daran, dass die Zeit nicht stehen bleibe, könne aber nichts ändern – zum Glück für die Schneiser, sagt Morf: «Die einseitige deutsche Verordnung und damit die Südanflüge vertragen sich nicht mit den Zielen des Single European Sky, dessen Umsetzung von 2014 bis 2020 geplant ist. Da kann Angela Merkel noch so auf die Hinterbeine stehen.»
 

Protest geht weiter

Druck machen werden die Schneiser auch am 30. Oktober. Auf dem Forchdenkmal in Küsnacht organisiert der VFSN um 6 Uhr eine Protestzusammenkunft. Gastredner hätte gemäss Morfs Wunschvorstellung Flughafen- CEO Thomas Kern (Zumikon) sein sollen; doch der hat schon einen anderen Termin.

Heute startet die Fluglärm-Serie der «ZSZ» mit einer Reportage aus der Südschneise: Ein morgendlicher Augenschein in Zumikon und Stäfa.

Fluglärm Bald fünf Jahre Südanflüge – eine Reportage aus dem betroffenen Gebiet

Stäfa, 5.59 Uhr – der erste Jet düst heran

Zwischen 6 und 7 Uhr herrscht am Himmel über dem Pfannenstiel seit bald fünf Jahren aviatischer Hochbetrieb. Protokoll einer «Rushhour» in Stäfa und Zumikon.

Daniel Fritzsche / Frank Speidel

Zumikon, 5.45 Uhr. Es ist kalt, neblig und mucksmäuschenstill. Ein steiler Weg führt hinauf ins Chapf-Gebiet – dem Epizentrum der Zumiker Schneiserbewegung. Auf dem Vorbeiweg schwingt sich ein Velofahrer auf sein Rad. «Ob mich der Fluglärm nach fünf Jahren noch stört?», fragt er müde. «Nicht wirklich, ich bin ja sowieso schon wach. Mein Wecker nervt mich mehr.»
Stäfa, 5.53 Uhr. An der Neuen Püntacherstrasse hoch über Stäfa ist es beinahe still. Nur der Wind rauscht durch eine Tanne, und reife Äpfel fallen hie und da von einem knorrigen Baum. In der Ferne sind vereinzelt Autos zu hören.
Zumikon, 5.54 Uhr. In den Villen im Chapf brennen keine Lichter. Die meisten Bewohner schlafen noch. Aus dem Nebel taucht ein einsamer Jogger auf. «Morgen!», keucht er. Für Fragen hat er keine Zeit. Werden die Flugzeuge heute überhaupt fliegen – trotz dem dichten Nebel? Lange wird es nicht mehr dauern. In der Ferne kräht ein Hahn.
Stäfa, 5.59 Uhr. Der erste Jet düst heran. Am Hang oberhalb von Stäfa hängt noch Nebel. Die Lichter der Maschine sind nicht erkennbar. Ihr Lärm vermischt sich mit dem Rauschen des Windes in der Tanne. Störend laut ist der erste Südanflug des Tages nicht – in Stäfa zumindest.
Zumikon, 6.00 Uhr. Ecke Chapfstrasse/ Chapfweg, ein Brunnen plätschert friedlich vor sich hin. In der Ferne hört man ein Rauschen. Das Rauschen entwickelt sich zu einem unangenehmen Dröhnen: Der erste Flieger ist da. Das Plätschern des Brunnens ist jetzt nicht mehr zu hören.
Stäfa, 6.00 Uhr. Die Kirchenglocke schlägt sechs Mal. Kurz darauf sind die Triebwerke des zweiten Flugzeugs an diesem Tag hörbar.
Zumikon, 6.01 Uhr. Viel Zeit bleibt den Zumikern nicht, um sich vom Lärm des ersten Flugzeuges zu erholen. Eine Minute später donnert bereits das nächste an. In einem Haus geht ein Licht an. Kurz darauf erlischt es wieder.
Stäfa, 6.03 Uhr. Eine weiteres Flugzeug ist zu hören. Die Maschine fliegt aber nicht über Stäfa, sondern befindet sich irgendwo über Uetikon oder Meilen.
Stäfa, 6.10 Uhr. An der Bushaltestelle Uelikon donnert ein Lastwagen vorbei. Kurz darauf folgt einige hundert Meter höher ein Flugzeug. Positionslichter sind immer noch keine erkennbar. Am Boden ist der Nebel zu dicht.
Zumikon, 6.12 Uhr. Ein älterer Herr steigt in sein Auto. Am Heck des Fahrzeuges klebt kein gelber «Flugschneise Süd Nein»-Kleber, trotzdem solidarisiert er sich mit den Schneisern. «Unser Haus hat schliesslich deutlich an Wert verloren », sagt der Mann. Der Lärm sei für ihn während den letzten fünf Jahren zum «leidigen Alltag» geworden.
Stäfa, 6.13 Uhr. Ein Auto fährt auf den Parkplatz auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Ein Mann steigt aus. «Ich arbeite hier nur. Von den Südanflügen bin ich nicht betroffen.» Er betritt das Haus hinter dem Parkplatz, knipst das Licht an. Sein Arbeitstag beginnt.
Stäfa, 6.15 Uhr. Fünf Autos brausen vorbei, während ein weiteres Flugzeug Stäfa überfliegt. Die vierrädrigen Maschinen am Boden sind deutlich lauter als jene in der Luft.
Zumikon, 6.20 Uhr. Auf dem Weg zurück ins Zumiker Zentrum merkt man, wie das Dorf erwacht. Immer mehr Autos auf den Strassen, Lieferanten machen ihre allmorgendliche Tour, und die Forchbahn hat ihren Betrieb voll aufgenommen. Die Südanflüge sind hier unten, in der Dorfmitte, nun fast nicht mehr zu hören.
Stäfa, 6.24 Uhr. Ein Jugendlicher sitzt einsam an der Bushaltestelle, streckt sich und gähnt. Haben die Flugzeuge ihn geweckt? «Nein, ich bin schon um fünf vor sechs aufgestanden », sagt er. «Wegen dem Fluglärm wache ich selten auf. Ich schlafe mit geschlossenem Fenster.»
Zumikon, 6.34 Uhr. Aus der Forchbahn steigt ein junger Stadtzürcher aus. Er sucht eine Strasse, um dort etwas abzuliefern. «Von diesen Schneisern habe ich schon gehört», meint er. «Ich habe aber keine Meinung dazu.»
Stäfa, 6.35 bis 6.50 Uhr. Auf der Risi, ganz hoch oben über dem Dorf, fernab von lauten Strassen, sollten die Flugzeuge besser hörbar sein. Der Aufstieg «lohnt» sich nicht: Während 15 Minuten sind keine Südanflüge auszumachen. Allmählich wacht das Dorf auf. Der besiedelte Kuchen am See beginnt zu brummen. Ein städtisches Brummen, der Klang der Zivilisation.
Zumikon, 6.45 Uhr. Es rattert auf dem Dorfplatz. Ein Pärchen zieht seine Rollkoffer zur Forchbahnstation. «Wir sind auf dem Weg zum Flughafen», sagt die Frau. «Auch wenn wir selber ab und zu mit dem Flugzeug reisen: Die Südanflüge sind ungerecht.»
Zumikon, 6.47 Uhr. Ein Geschäftsmann blättert in einer Gratiszeitung, während er auf die Forchbahn wartet. «Ich bin mit meiner Familie erst vor kurzem nach Zumikon gezogen – trotz Südanflügen », sagt er. Sein Haus sei gut isoliert, der Lärm kein grosses Problem.
Zumikon, 6.59 Uhr. Nach einigen ruhigen Minuten folgt das grosse Finale, der letzte Flieger dieses Morgens. Das Getöse ist über dem ganzen Dorfplatz Zumikon zu hören. Das Flugzeug bleibt unsichtbar hinter einer Nebelbank. Nur seine Scheinwerfer sieht man vom Boden aus gedämpft blinken.
Stäfa, 7.00 Uhr. Ein Paar mittleren Alters wartet mit Wanderstöcken und Rucksäcken ausgerüstet an der Bushaltestelle Lindenbänkli. «Heute haben wir die Flugzeuge gehört. Wir waren aber ohnehin schon wach. Wegen dem Fluglärm erwachen wir eigentlich nie – obwohl wir nachts das Fenster einen Spalt weit offen lassen.» Der Bus naht. Der Ausflug in die Berge kann beginnen.

Auf der Risi sollte man in Stäfa die Flugzeuge am besten hören. Doch als der «ZSZ»-Schreiber Frank Speidel um 6.35 Uhr oben angekommen war, kamen keine Flugzeuge mehr angeflogen. (Reto Schneider)

«Wir reisen selber mit dem Flugzeug, aber die Südanflüge sind ungerecht»
Was meinen Sie?

Sind die Südanflüge für Sie auch nach fünf Jahren noch ein Ärgernis, oder haben Sie sich daran gewöhnt? Oder waren die Südanflüge für Sie überhaupt nie ein Problem? Schreiben Sie uns Ihre Meinung an meinung@zsz.ch. Bitte geben Sie Name, Vorname und Wohnort an, und vermerken Sie, wenn Sie in der Auswertung nicht namentlich erwähnt werden wollen. (zsz)

ZSZ, 14.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
Kämpfer und Seelsorger (ZSZ, 17.10.2008)
«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU, 25.10.2008)
«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ, 25.10.2008)
Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ, 28.10.2008)
Fünf Jahre Südanflug sind genug! (PR-indside, 28.10.2008)
Der Tag, an dem die Ruhe endete (ZSZ, 29.10.2008)
«Ohne Zugeständnisse keine Pistenverlängerung» (NZZ, 30.10.2008)
Schneiser trotzten Schnee (ZOL, 30.10.2008)
«Trölerisches Verhalten von Gerichten und Politik» (NZZ, 30.10.2008)
Demo Südanflüge (Video Schweiz Aktuell, 30.10.2008)
Morgendliche Fluglärm-Demo auf der nebligen Forch (TA, 31.10.2008)
Schneiser schlottern in Scharen (Glattaler, 31.10.2008)
Pfiffe gegen Jets im Schneegestöber (SZ, 31.10.2008)
«Mir Schneiser sind härti Chäibe» (ZSZ, 31.10.2008)
«Schneiser» trotzen dem Schneegestöber (ZOL, 31.10.2008)"