Die Zeit der Billigflüge ist vorbei (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Kostenschock wegen Rekord-Ölpreisen pflügt die Branche um. Vor allem Low-cost-Airlines sind bedroht

Angeschlagene Fluggesellschaften werden den verschärften Kostendruck nicht überleben. Die Swiss steht relativ gut da.

Birgit Voigt

Letzten Freitag stieg der Ölpreis kurz auf 135 $ pro Fass – und eine ganze Branche schaltete in Panik-Modus. Angesichts dieser Kostenexplosion warnen sogar die stärksten Fluggesellschaften Europas vor gravierenden Einschnitten. Der Chef von British Airways (BA), Willy Walsh, stellt seine Investoren darauf ein, dass nach dem Rekordgewinn 2007 das laufende Jahr mit einem Verlust enden könnte. BA plant auf den Winterflugplan hin, Tausende von Flügen zu streichen. Der Chef von Air France, Jean-Cyril Spinetta, sagte am Donnerstag nach einer Gewinnwarnung zum 1. Quartal, dass die Gesellschaft die Treibstoffkosten verstärkt auf die Passagiere überwälzen müsse und dies wahrscheinlich die Nachfrage beeinträchtigen werde.

In der Industrie ist man sich einig, dass die Kosten für den Treibstoff einer Vielzahl von Airlines das Genick brechen werden. Für die Konsumenten sind die goldenen Zeiten vorbei, da der Flug billiger kam als die Fahrt mit dem Taxi zum Flughafen.

Pleite-Kandidaten
Die Liste der grösseren Pleite-Kandidaten in Europa ist klar: Alitalia mit seiner alten, spritfressenden Flotte gilt als Kronfavorit, auch die beiden Lowcost-Airlines Sky Europe in Osteuropa und die spanische Vueling sind gefährdet. Airberlin gilt als wackliger Kandidat, genau wie die National-Carrier von Österreich (AUA) und den skandinavischen Ländern (SAS). Dazu gibt es eine Reihe weniger bekannter Gesellschaften aus der Liste der rund 60 europäischen Lowcost- und Charter-Airlines, die schon länger bei jedem Flug bares Geld drauflegen. Den Sommer hoffen die meisten noch zu überstehen, denn dann spülen die Vorauszahlungen der Feriengäste Geld in die Kassen. Doch im Oktober versiegen diese Geldströme, und so prognostiziert ein hochrangiger Airline-Manager: «Im Oktober sterben einige Gesellschaften.»

Die sich abzeichnende Konsolidierung bei den traditionellen Netzwerk-Gesellschaften bleibt den grossen Europäern – Lufthansa, AirFrance/KLM und British Airways – überlassen. Sie sind die Einzigen, deren Kapitalisierung ausreicht, die Krise zu überstehen und schwache Konkurrenten zu vereinnahmen. Ein erfahrener Aviatik-Berater sieht die Amerikaner auf der Verlierer-Seite (siehe Box). Die US-Unternehmen hätten keine Kraft mehr.

Offen bleibt, wie sich die führenden Lowcost-Gesellschaften in der Krise schlagen. Das Geschäftsmodell lebt davon, breite Kundenschichten durch tiefe Ticketpreise in die Flugzeuge zu locken. Brechend voll geladen, holen sich die beiden Marktführer Ryanair und Easy Jet jeweils mit den letzten paar Prozent ihrer Passagier-Auslastung einen Gewinn.

Fertig Schnäppchen
Beide Firmen verfügen über Tiefkostenstrukturen, moderne Flotten und über Barreserven in Höhe von mehr als 2 beziehungsweise 1 Mrd. €. Die Gretchenfrage lautet, wie ihre Kunden reagieren, wenn das Fliegen eben nicht mehr so billig darzustellen ist wie bisher. Ryanair beispielsweise ist dazu übergegangen, den Kunden jede Handreichung zusätzlich zu verrechnen, so dass unter dem Strich deutlich höhere Preise für den Passagier entstehen, als die aggressive Schnäppchenwerbung hoffen lässt. Ob Ryanair so die Kunden in ausreichendem Masse bei der Stange halten kann, bezweifeln viele. «Ab einem bestimmten Preisniveau hören die Leute auf, aus Spass irgendwohin zu fliegen. Das Modell der stimulierten Nachfrage dank tiefen Preisen ist tot», sagt ein Airline-Berater voraus.

Die Swiss ist angesichts der anstehenden Umwälzungen besser aufgestellt als alle anderen, kleineren Netzwerk-Gesellschaften in Europa. Sie erzielt ihre Profite vor allem mit Geschäftsreisenden, die Ziele rund um den Globus anfliegen. Diese Kunden reagieren weniger sensibel auf Preiserhöhungen als der typische Freizeit-Passagier. Mit dieser Kundengruppe erziele Swiss rund 40% ihres Umsatzes, liess sich letzte Woche am Rande einer Pressekonferenz Swiss-Konzernchef Christoph Franz verlauten. Genau deshalb investiert die Airline jetzt mehr als 100 Mio. die komplette Erneuerung ihrer Businessklasse.

Trotzdem sieht auch die Swiss die Entwicklung mit Sorge. Seit dem letzten Beschluss vor wenigen Wochen, die Preise erneut anzuheben, seien die Treibstoffkosten schon wieder um 20% gestiegen. «Wir geben die Preiserhöhungen nur zu einem Drittel an den Kunden weiter. Den Rest müssen wir durch Einsparungen und Effizienzsteigerung kompensieren», erklärt Netzwerk-Chef Harry Hohmeister. Da die Swiss bereits als eine der effizientesten Airlines der Branche gilt, wird es immer schwerer, Kosten intern abzufangen. Hohmeister zeigt die Dimension der Aufgabe auf: «2004 gaben wir 500 Mio. Fr. für Treibstoff aus, dieses Jahr rechnen wir mit 1,2 Mrd.»

15 Dollar pro Koffer extra – Amerikanische Fluggesellschaften in existenzieller Not

Der Anstieg des Kerosinpreises schlägt ungebremst auf die US-Fluggesellschaften durch. Selbst die führenden Airlines können sich das kostspielige Absichern ihres Bedarfs an Flugbenzin nicht mehr leisten. Ausserdem haben die Amerikaner – anders als die Europäer – keinen Währungsvorteil beim Einkauf des Treibstoffs. In den USA sind deshalb schon eine Reihe von Airlines in Konkurs gegangen: Dieses Frühjahr suchten acht Gläubigerschutz, fünf davon stellten ihren Dienst ein, darunter die rein auf Transatlantik-Geschäftsflüge spezialisierten Gesellschaften EOS und Maxjet.

Auch für die etablierten Netzwerk-Carrier wie United, Delta und American Airlines werden die Optionen immer kleiner. Fast alle grossen US-Airlines mussten in den letzten Jahren Schutz vor den Gläubigern (Chapter 11) beantragen. Restrukturiert, mit gesenkten Personalkosten gingen sie erst kürzlich wieder an den Start. Den meisten fehlte das Geld für eine Flottenerneuerung mit effizienten Maschinen. Nochmals Chapter 11 zu beantragen, ist aber für viele keine Option mehr. Firmen, die mehrmals Gläubigerschutz beanspruchen, droht der richterliche Entscheid zur Liquidation.

American Airlines schockte letzte Woche mit der Ankündigung, die Kapazität für Inlandflüge um 12 Prozent runterzufahren und für jedes Gepäckstück 15 Dollar extra zu verrechnen. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass die führenden europäischen Gesellschaften die Phase nutzen werden, um sich kapitalmässig an den schwächelnden US-Airlines zu beteiligen. Dies ist derzeit nur sehr begrenzt möglich. Doch die US-Politiker könnten dem Drängen der Europäer auf Öffnung angesichts der desolaten Lage der amerikanischen Luftfahrtgesellschaften diesmal nachgeben. (vob.)

NZZ am Sonntag, 25.05.2008