«Zersplitterte und komplexe Fluglärm-Landschaft» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Das Urteil zum Opfiker Einfamilienhaus klärt nur gewisse Fragen

Diese Woche hat das Bundesgericht einem Opfiker Hauseigentümer Entschädigung für Minderwert durch Fluglärm zugesprochen. Das Leiturteil klärt zwar einige wichtige Grundsatzfragen, die Erkenntnisse sind aber nur teilweise auf die rund 19 000 weiteren Klagen anwendbar.

ark. Am Mittwoch erhielt ein Opfiker Einfamilienhausbesitzer vor Bundesgericht recht. Die Flughafen Zürich AG muss ihm umgehend 150 000 Franken an Minderwert-Entschädigung überweisen (NZZ 28. 2. 08). Das Leiturteil des Bundesgerichts hat gemäss Reaktionen von Experten gewisse Grundsatzfragen geklärt. Es bleibt aber nur beschränkt anwendbar auf die übrigen etwa 19 000 Lärmklagen aus der Flughafenregion.

6 Millionen für 40 Einfamilienhäuser
Selbst der Anwalt des erfolgreichen Klägers bleibt vorsichtig: «Man darf dieses Urteil nur nehmen für das, was es ist», sagt Peter Ettler, «die Fluglärm-Landschaft ist wahnsinnig zersplittert und komplex.» Das Urteil gilt nur für vom Eigentümer selbst bewohnte Einfamilienhäuser mit überschrittenem Immissionsgrenzwert in Opfikon, für deren Bau vor dem 1. Januar 1961 mindestens die Werkverträge abgeschlossen waren. Ettler vertritt rund 40 Kläger, auf die dieses Profil zutrifft. Diese könnten nun nach dem am Mittwoch publizierten Urteil des Bundesgerichts aussergerichtlich geregelt werden, wobei die Flughafen Zürich AG auf Anfrage noch nicht bestätigen wollte, ob sie darauf eingehen wird. Über den Daumen gepeilt, dürfte es bei den Opfiker Einfamilienhäusern um eine Summe von rund 6 Millionen Franken gehen, wie Ettler bestätigt.

Alle anderen Fälle bleiben vorläufig hängig. Auf das Bundesgericht wartet noch viel Arbeit. Alleine für die Gemeinde Opfikon bleiben nach dem Leiturteil zum Einfamilienhaus 16 anders gelagerte Pilotfälle zu beurteilen. Die Flughafen-Betreiberin und der Klägeranwalt haben sich auf das Vorziehen von exemplarischen Beispielen geeinigt, um ähnlich gelagerte Fälle später schneller erledigen zu können. Eine der entscheidenden Fragen, die man in Lausanne wird klären müssen, ist zum Beispiel, ob auch bei Mehrfamilienhäusern ein Minderwert entsteht. Die Flughafen Zürich AG stellt sich auf den Standpunkt, dass kein Wertverlust durch Fluglärm zu verzeichnen sei, weil die Mietpreise der Ertrags-Liegenschaften in den letzten Jahren tendenziell zugenommen hätten. Die Kläger dagegen sind der Meinung, dass ein Wertverlust eingetreten sei, weil man die in die Jahre gekommenen Häuser wegen des Lärms nicht mehr umfassend renovieren und teurer vermieten könne.

Betrachtet man die Situation jenseits der Grenzen der Gemeinde Opfikon, wird es noch komplizierter. Hier ist noch nicht einmal geklärt, wann man klagen musste, um die Verjährungsfrist von fünf Jahren nicht zu verpassen. Offen ist auch, ob auch hier die 1961er-Regel gilt, also ob nur Häuser in Frage kommen, die 1961 schon standen. Musste ein Anwohner im Südanflug schon 1961 wissen, dass dereinst von Süden her angeflogen werden wird? Die Kläger sind der Meinung, nein: «Der militärische Flugbetrieb in Dübendorf war damals der beste Garant gegen eine Öffnung des Südanflugs», sagt Ettler. Unklar ist auch, ob Entschädigungen fällig sind, wenn die Immissionsgrenzwerte wie im ganzen weiteren Süden nicht überschritten sind, die Bewohner aber täglich geweckt werden. Etwas anders präsentiert sich die Lage im Ostanflug. Die ersten vereinzelten Anflüge fanden hier erst 1989 statt, die massive Ausweitung im Gefolge der einseitigen deutschen Verordnung gar erst ab 2001. War diese Entwicklung voraussehbar, und wenn ja, ab wann? Auch hier wird das Bundesgericht befinden müssen.

«Lärmzehnernote» statt «Lärmfünfliber»?
Die vielen offenen Fragen haben zur Folge, dass die finanziellen Auswirkungen noch nicht geklärt sind. Bei der Flughafen Zürich AG will man sich bezüglich möglicher Kosten nicht detailliert äussern. Man rechnet gemäss einer «vorsichtigen und konservativen Schätzung» im Geschäftsbericht mit Kosten von 800 Millionen bis 1,2 Milliarden Franken. Auf Anfrage sagte Sprecherin Sonja Zöchling, dass man zur Refinanzierung eines derartigen Betrags die Lärmgebühr pro Passagier von gegenwärtig 5 («Lärmfünfliber») mittelfristig auf rund 10 Franken anheben müsste. Geht man von den gegenwärtigen gut 20 Millionen Passagieren pro Jahr aus, würden damit die Einträge in den Fonds von 100 auf 200 Millionen Franken jährlich gesteigert. Sollte der gesamte Betrag im Übrigen die 1,1-Milliarden-Franken-Grenze überschreiten, würde gemäss einem Abkommen vom März 2006 der Kanton die Vorfinanzierung übernehmen.

NZZ, 01.03.2008



siehe auch:
Hauseigentümer erhält Lärmentschädigung (NZZ)