Fiebermesser für den Fluglärm (SoZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Wie der Zürcher Fluglärm-Index die Zahl lärmbelästigter Personen festlegt

Von Joachim Laukenmann

Heute in einer Woche haben die Zürcher Stimmbürger die Wahl. Sie können über die Plafonierungs-Initiative und den Gegenvorschlag, den «Zürcher Fluglärm-Index» (ZFI), entscheiden. Das Problem des ZFI: Kaum jemand versteht ihn.

Das Volksbegehren will auf dem Flughafen bei neun Stunden Nachtruhe noch maximal 250 000 Flugbewegungen zulassen. Grosse, kleine, laute und leise Flugzeuge werden dabei gleich gewichtet. Zum Vergleich: 2007 wird mit 265 000 Flügen gerechnet, Tendenz steigend. Die Flugbewegungen würden also stark beschränkt. Ein Anreiz, leise Flugzeuge einzusetzen, wird mit dem Begehren nicht geschaffen.Das Volksbegehren will auf dem Flughafen bei neun Stunden Nachtruhe noch maximal 250 000 Flugbewegungen zulassen. Grosse, kleine, laute und leise Flugzeuge werden dabei gleich gewichtet. Zum Vergleich: 2007 wird mit 265 000 Flügen gerechnet, Tendenz steigend. Die Flugbewegungen würden also stark beschränkt. Ein Anreiz, leise Flugzeuge einzusetzen, wird mit dem Begehren nicht geschaffen.

Dem Gegenvorschlag des Kantonsrats liegt eine andere Idee zugrunde: Der Lärm stört dort am meisten, wo viele Menschen wohnen. Nicht die Flugbewegungen, sondern die Anzahl der vom Fluglärm stark beeinträchtigten Personen wird daher begrenzt.

Ausgangspunkt für die Berechnung des ZFI ist ein Computermodell der Empa, das die Lärmbelastung in der Umgebung des Flughafens ermittelt. Resultat ist eine Lärmkarte, die sowohl für den Tag als auch für die Nacht in etwa zeigt, wo es im Mittel wie laut ist.

Heute weiss man, dass der rein physikalische Schallpegel nicht genügt, um die damit einhergehende Belästigung festzulegen. Denn Schall wird individuell und je nach Schalltyp ganz unterschiedlich empfunden. Man kann auch sagen: Lärm ist Schall, der auf die Nerven geht. Als wie lästig Lärm im Durchschnitt von der Bevölkerung empfunden wird, gibt die so genannte Dosis-Wirkungs-Beziehung (DWB) wieder. Das ist eine Formel, die einerseits die gemittelten Lärmpegel aus der Computersimulation enthält, diese aber entsprechend der menschlichen Lärmwahrnehmung gewichtet.

Die DWB lässt sich also nicht messen. Sie wird vielmehr mit Hilfe von Umfragen, so gut es geht, ermittelt. Testpersonen können dabei meist auf einer Skala von 0 («stört überhaupt nicht») bis 10 («stört unerträglich») den Grad ihres Belästigungsempfindens wiedergeben. Die aus der Umfrage ermittelten Lästigkeitsurteile werden dann auf die Bevölkerung in der ganzen betroffenen Region hochgerechnet.

Für die Lärmbelästigung bei Tag lässt sich die DWB mit diesen Umfragen relativ gut ermitteln. Aus zahlreichen DWB-Formeln wurde für den ZFI die des Holländers Henk Miedema ausgewählt, da sie auf einer breiten Datengrundlage von 34 000 befragten Personen beruht.

Die Schlaftiefe ändert sich auch bei Ruhe 24-mal

Weit schwieriger ist das bei Nacht. Denn eine Schlafstörung wird nur teilweise bewusst wahrgenommen und kann daher mit Umfragen nicht ermittelt werden. Zwar wird bereits ein einziges durch Fluglärm verursachtes Aufwachen als starke Störung definiert. Nur: Auch in einer völlig lärmfreien Nacht ändert sich die Schlaftiefe eines Menschen im Mittel 24-mal. Wird ein unbewusstes Aufwachen gleichzeitig mit einem Überflug beobachtet, ist unklar, ob das Flugzeug oder der natürliche Schlafrhythmus die Ursache war. Die fluglärmbedingte Aufwachreaktion kann daher nur relativ grob geschätzt werden.

Auf plausible Art scheint das mit einer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ermittelten DWB zu gelingen, bei der nicht das Lärmmittel, sondern die nächtlichen Lärmspitzen relevant sind. Auch hier schliessen die Forscher aus einer kleinen Zahl beobachteter Personen auf die Schlafstörungen der gesamten betroffenen Bevölkerung. Die Randstunden zwischen Tag und Nacht werden besonders stark gewichtet, da die Bevölkerung hier sehr sensibel auf Lärm reagiert.

Der ZFI ist nun die geschätzte Zahl der bei Tag stark belästigten plus die geschätzte Zahl der nachts stark schlafgestörten Personen. Dieser grobe Wert schwankt natürlich von Jahr zu Jahr mit den Flugbewegungen, den eingesetzten Flugzeugtypen und den Bevölkerungszahlen.

Soweit der wissenschaftliche Aspekt des ZFI. Jetzt kommt die Politik ins Spiel. Um einen Richtwert für die maximal tolerierte Zahl stark Belästigter festzulegen, hat die Zürcher Regierung Basisdaten festgelegt. Für die Anzahl Flugbewegungen beispielsweise den Wert 325 000, wie im Spitzenjahr 2000. Die Flottenzusammensetzung entspricht dem Jahr 2004 (moderner und leiser als 2000), ebenso die Lage der Flugrouten (mit Südanflügen).

Der so berechnete ZFI beträgt 47 000 und wird als Richtwert bezeichnet. Heute liegt die Belästigung der Bevölkerung bei rund 80 Prozent dieses Werts. Die Differenz zwischen heute 80 und 100 Prozent stellt den Spielraum für die Entwicklung des Flughafens Zürich Kloten dar.

Offensichtlich ist der ZFI alles andere als eine exakte Zahl der stark belästigten Personen. Mit anderen Basisjahren und anderen Formeln für die BWD kämen vielleicht 40 000 oder 60 000 Personen heraus. Das spielt aber gar keine so grosse Rolle. Denn der ZFI ist als Indikator zu verstehen, der ähnlich funktioniert wie ein Fieberthermometer: Steigt der Wert von Jahr zu Jahr, ist das ein Warnzeichen. Und ein Aufruf an die Politik, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um die Belästigung nicht über den Richtwert steigen zu lassen. Als politisches Thermometer ist der relativ grobe ZFI brauchbar. Mehr kann und soll er nicht sein.

Sonntagszeitung, 18.1.2007