Wird die Abstimmung vom 25. November zum Wendepunkt im Fluglärmstreit? (ZOL)

Publiziert von VFSNinfo am
Flughafenabstimmung Plafonierungsinitiative, Gegenvorschlag oder ein doppeltes Nein am 25. November?

Ein Signal nach Bern mit unklaren Folgen

Wird die Abstimmung vom 25. November zum Wendepunkt im Fluglärmstreit? Beat Walti (FDP), Ruedi Lais (SP) und Schutzverbandspräsident Peter Staub diskutieren die verschiedenen Optionen.

Wann sind Sie dieses Jahr zuletzt vom Flughafen Zürich abgeflogen?
Ruedi Lais: Gar nie. Zuletzt im Sommer 2004. Damals flog ich via Kopenhagen nach Stockholm an den schwedischen 5-Tage-OL.
Beat Walti: Ich bin in diesem Sommer mit meiner Familie für zwei Wochen Ferien in die Türkei geflogen.

Peter Staub: Ich bin im Winter für zwei Wochen nach Asien in die Ferien geflogen.
Die Initiative mit ihrer Beschränkung bei 250 000 Starts und Landungen sorgt vielerorts für Kopfschütteln. Ruedi Lais, könnte der Flughafen so noch wirtschaftlich betrieben werden?
Lais: Auf jeden Fall. Sogar Unique-CEO Josef Felder hat bestätigt, dass er den Flughafen auch mit 250 000 Flugbewegungen profitabel betreiben könnte. Heute ist der Flughafen ein Vergnügungs-, Shopping- und Ausbildungszentrum - mit Fluganschluss. Die Limite von 250 000 Flugbewegungen stellt für den Linien-, Charter- und Frachtflugverkehr kein Problem dar.

Walti: Die Frage eines wirtschaftlichen Flughafenbetriebs steht für mich nicht im Vordergrund - auch der Flugplatz Birrfeld muss ja kostendeckend betrieben werden. Doch mit einer Plafonierung unter dem heutigen Niveau ist die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft in Frage gestellt. Jegliche Perspektive für eine vernünftige Entwicklung ginge so verloren. Und dabei spreche ich bewusst nicht von einem Mega-Hub oder grenzenlosem Wachstum.
Der Flughafen müsste sich stark einschränken. Welche Art von Flughafen schwebt Ihnen denn vor, Herr Lais?
Lais: Ich gehe von den Realitäten aus. Wir haben rund um den Flughafen eine Stadt wachsen lassen. Deren Bewohner haben ein Bedürfnis nach Ruhe, und dieses ist sicherlich nicht mit einem mengenmässigen Wachstum in Einklang zu bringen. Wir brauchen einen Flughafen, welcher die Bedürfnisse der Schweiz abdeckt - sich aber auch bewusst ist, dass rund um ihn herum gelebt und gewohnt wird. Wenn der Flughafen beim Wachstum keinen Schritt retour macht, gibt es keine politische Lösung.
Peter Staub, der Schutzverband spricht sich gegen diese Plafonierung auf 250 000 Bewegungen aus. Wie soll sich der Flughafen entwickeln?
Staub: Unsere Position ist schon seit längerem bekannt: Wir erachten einen Plafond bei 320 000 Flugbewegungen als richtig. Der Flughafen hätte so die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Die Stossrichtung der Plafonierungsinitiative ist sicher richtig. Doch die neun Stunden Nachtruhe wären ein zu grosses Handicap für das Hub-System. Wir können doch in Zürich nicht bestimmen, wann die Flugzeuge im Ausland starten dürfen, damit sie zur für uns richtigen Zeit in Kloten landen. Diese Forderung findet auch keinen Platz im Luftfahrtbericht des Bundes. Und bis zu einem gewissen Grad entscheidet eben Bern, was hier in Zürich passiert.
Mit der Plafonierungsinitiative würde man sogar hinter den heutigen Zustand zurückgehen. Macht das Sinn?
Lais: Wir sind uns hier wohl alle einig, dass die verfehlte Raumplanung der letzten Jahrzehnte den Flughafen auf Kollisionskurs mit der Bevölkerungsentwicklung gebracht hat. Man hat 2001 gesehen, wohin das reine Mengenwachstum führen kann: in eine grosse wirtschaftliche Katastrophe. Eine Beschränkung wäre damals heilsam gewesen. 250 000 Flugbewegungen genügen für den Grossraum Zürich absolut, wir haben nicht den Platz für ein massloses Wachstum.
Walti: Es handelt sich nur um einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung, der für ein grenzenloses Wachstum des Flugverkehrs eintritt. Politisch ist das eine Harakiri-Position. Doch wir diskutieren heute nicht über Wachstum, sondern über eine Reduktion - und eine solche ist heute nicht opportun. Dem Wachstum sind nämlich sehr wohl Grenzen gesetzt, weitere Schritte sind von der Zustimmung der Bevölkerung abhängig. Bei beiden Abstimmungsvorlagen geht es vorderhand um ein Signal nach Bern, welchen Weg die direkt betroffene Region gehen will. Und ein Signal, das einen realistischen, ausgewogenen Weg skizziert, wird viel wirkungsvoller sein als ein derart extremes, wie es die Initiative vorsieht.

Staub: Ich bin schon lange in diesem Geschäft. Mich befremdet zusehends, wie flughafenfreundliche Organisationen wie das Komitee Pro Flughafen oder Weltoffenes Zürich in letzter Zeit unter dem Druck von Rita Fuhrer zu kuschen begannen und plötzlich mit dem Gegenvorschlag («ZFI plus») leben konnten. Dies lässt mich aufhorchen. Das widerspricht jeglicher Art und Weise, wie diese Kreise bis anhin politisiert haben. Es beweist aber auch, dass es der Kantonsrat verpasst hat, ein klareres Signal zu setzen. Die Probleme werden nur auf die lange Bank geschoben. In vier oder fünf Jahren, wenn 320 000 Flugbewegungen Tatsache sein werden, sind keine konkreten Gegenmassnahmen vorhanden. Das ist doch nichts anderes, als den Leuten Sand in die Augen zu streuen.
Bis heute ist tatsächlich nie klar kommuniziert worden, was passiert, wenn der ZFI den Wert von 47 000 stark gestörten Personen erreicht. Ist der Gegenvorschlag mehr als nur eine Verlegenheitslösung?
Walti: Im politischen Prozess musste man feststellen, dass es ohnehin einen Gegenvorschlag braucht. Wir haben einen gefunden, der mehrheitsfähig ist. Für mich ist der ZFI kein Feigenblatt und ganz bestimmt auch keine Verlegenheitslösung.

Staub: Der ZFI - und das stört mich am meisten an diesem Gegenvorschlag - zementiert die An- und Abflugverfahren. Er entlastet den Süden und ist eine Weiterführung des Raumplanungsprojekts «Relief», das nun auf dem Schleichweg eingeführt werden soll.
Wieso legt die Regierung den aktuellen Stand des ZFI nicht offen?
Lais: Die Reserve ist riesig. Jedes Dezibel Fluglärm weniger senkt den Wert deutlich. Heute sind wir bei rund 34 000 stark gestörten Personen. Wir werden zuerst an die Kapazitätsgrenze stossen, bevor der Richtwert erreicht ist. Das Problem ist, dass dank der Flughafenlobby Raumplanung und Umweltschutz schon jahrzehntelang hinter der Entwicklung hinterherhinken.

Staub: Seit 15 Jahren machen wir in unseren Gemeinden die grössten Spagate zwischen Raumplanung und Fluglärm. Man müsste doch zuerst den Lärm reduzieren, bevor man die Planung in Angriff nehmen könnte. Aber da treffen verschiedenen Interessenwelten aufeinander.
Kommen wir nun zu jenem «Plus» im Gegenvorschlag, das der Regierungsrat eigentlich gar nicht vorgesehen hatte. Was bringt dieser Zusatz konkret?
Lais: Das Plus kam erst ins Spiel, nachdem der eigentliche Gegenvorschlag, den auch die SP unterstützt hatte, im Kantonsrat gebodigt war. Aber diese Vorgeschichte spielt nun keine Rolle mehr. Wer sich am 25. November für mehr Lärmschutz aussprechen will, der muss zweimal Ja stimmen. Sonst haben wir einen Scherbenhaufen und die Luftverkehrslobby triumphiert.

Staub: Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, weshalb Sie den «ZFI plus» unterstützen. Entweder stelle ich mich hinter die Initiative oder dann bin ich für den Gegenvorschlag. Die ergänzen sich ja nicht, sondern heben sich gegenseitig auf.
Beat Walti, ist das Plus mehr wert als das Papier, auf dem es vermerkt ist?
Walti: Der «ZFI plus» wird eine kontinuierliche Diskussion auslösen, die gewisse Erwartungen und Entwicklungen steuert. Ein Marschhalt bei 320 000 Flugbewegungen entspricht dem gesunden Menschenverstand. Entscheidend für die dann nötige Diskussion sind verschiedene Faktoren. Etwa, wie sich die Situation mit Deutschland entwickelt oder ob die Flugzeuge künftig zwei oder drei Dezibel leiser sein werden. Bei einem Marschhalt stellt man sich der politischen Diskussion und lässt die Bevölkerung daran teilhaben.

Staub: Fairerweise muss zugestanden werden, dass der Zusatz «plus» eine gewisse Verbesserung bringt. Hinter die Umsetzung setze ich allerdings ein grosses Fragezeichen. Wieso soll man warten, bis die ganze Infrastruktur bis zum Anschlag ausgereizt ist? Alle Massnahmen, die dann ergriffen werden könnten, benötigen wiederum Zeit und Diskussionen. Da vergehen doch zehn Jahre, bis etwas Konkretes passiert. Jetzt hingegen hätte man ohne Zwang und ohne Druck entscheiden können.
Die Interessengemeinschaften und der Schutzverband plädieren für ein doppeltes Nein. Falls es an den Urnen wirklich dazu kommt: Wie würde das Ergebnis interpretiert werden?
Staub: Ich verstehe, wenn man uns nun vorwirft, wir würden die Bevölkerung zu wenig schützen. Dies stimmt aber so nicht. Die Abstimmungsvorlagen sind mit der Position des Schutzverbands schlicht nicht vereinbar. Wir hoffen, dass sich der Kantonsrat bei einem zweimaligen Nein aufrappelt und nach einer Lösung sucht, die er schon einmal fast erarbeitet hatte, bevor er sie dann doch fallen liess.

Lais: Ich befürchte, dass ein doppeltes Nein als Ja zum Wachstum interpretiert würde. Wenn das Volk sowohl eine neunstündige als auch eine siebenstündige Nachtruhe ablehnt, ist der politische Wille, etwas zu verbessern, schlicht nicht mehr erkennbar.
Walti: Ich bin mir nicht sicher, ob die Zürcher Bevölkerung nach einem doppelten Nein nochmals eine Chance bekäme mit einem besseren Vorschlag. Für mich ist relevant, wie der Bund das Ergebnis wertet. Unterdessen läuft ja bekanntlich der Entscheidungsprozess zum Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL). Als Stellungnahme wird nur das einbezogen, was dann verfügbar ist. Der «ZFI plus» mit einer gesteuerten, vertrauensbildenden Entwicklung wäre ein besseres Signal als gar nichts.
Im SIL-Prozess auf Bundesebene ist per Ende Jahr mit einem wichtigen Entscheidungsschritt zu rechnen. Herr Staub, ist der Zug für andere Forderungen dann nicht abgefahren?
Staub: Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung wird der raumplanerische Perimeter im SIL-Prozess so grosszügig bemessen werden, dass darin alle möglichen Betriebsvarianten Platz haben.

Lais: Die Zweimal-Nein-Parole heisst doch nichts anderes als: Liebes Zürcher Volk, werft euer Mitspracherecht in den Papierkorb, der Bund soll machen, was er will. Ob in Zukunft irgendwann eine andere Variante politisch mehrheitsfähig würde, ist doch völlig offen. Mit den aktuellen Vorlagen hat das Zürcher Volk seit langem wieder einmal die Chance, sich zum Flughafen zu äussern. Es dürfte wohl für längere Zeit die letzte sein.
Besteht nicht die Gefahr, dass der Stimmbürger frustriert sein wird, weil Bern sich gar nicht an das Abstimmungsresultat halten muss? Es handelt sich ja lediglich um eine Aufforderung an den Regierungsrat.
Lais: Der Schweizer Stimmbürger hat schon sehr oft über als Forderungen formulierte lokale Initiativen abgestimmt, die dennoch sehr erfolgreich waren - ich erinnere nur an Kaiseraugst, Rothenthurm oder die Alpen-Initiative. Ausserdem geht es nicht allein darum, was Rita Fuhrer in Bern Moritz Leuenberger mitzuteilen hat, sondern auch darum, welche Position sie im Unique-Verwaltungsrat einzunehmen hat. Die Regierung hält dort drei Sitze und hat ein Vetorecht. Und ich erwarte, dass Frau Fuhrer und ihre Kollegen sich für die Eckwerte einsetzen.
Walti: Demokratiepolitisch ist diese Initiative nicht unproblematisch. Diejenigen, die neun Stunden Nachtruhe fordern, erwarten, dass dies am nächsten Tag so umgesetzt wird. Die Empörung wäre gross, wenn dies nicht der Fall wäre. Der Flughafen Zürich ist jedoch eine sehr wichtige Infrastruktur für die ganze Schweiz. Wir sind ein exportabhängiges Land, das zudem stark auf den Tourismus setzt. Ein Ja zur Plafonierung wäre ein ganz schlechtes Signal. Man kann dem Wirtschaftswachstum nicht nur dann das Wort reden, wenn es gerade mal nicht so rund läuft.
Lais: Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Schweizer Wirtschaft ernsthaft Schaden nehmen würde, wenn sie beispielsweise keine zusätzliche Direktverbindung nach China bekäme? Sie profitiert doch bereits heute enorm vom dortigen Wirtschaftsboom.

Walti: Das Potenzial dort ist zig-mal grösser als in unseren umliegenden Heimmärkten. Und Verkehrsströme und wirtschaftliche Investitionen stimulieren sich gegenseitig - das war schon immer so, auch bei anderen Verkehrsträgern. Deshalb werden die wirtschaftspolitischen Wirkungen einer Plafonierung nicht ausbleiben.
Zum Schluss: Glauben Sie, dass sich der Knoten in der Lärmdiskussion nach dem 25. November lösen wird?
Staub: Nein.
Walti: Ich bin der Ansicht, dass bei Annahme des Gegenvorschlags die Diskussion versachlicht werden könnte. Interessengegensätze und Emotionen werden hingegen bestehen bleiben.

Lais: Ein Ja zur Flughafeninitiative würde zu einer Wende führen, zur Einsicht, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Sollte sie abgelehnt werden, würde auch ein Ja zum Gegenvorschlag die Basis bieten, mit dem Flughafen zu verhandeln und nicht nur dessen Wünsche entgegenzunehmen.

ZOL, 15.11.2007

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