Einstimmig gegen die Plafonierung, aber uneinig beim «ZFI plus» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Kantonale Volksabstimmung vom 25. November

Regierungspräsidentin Rita Fuhrer und Swiss-CEO Christoph Franz über ihre divergierenden Positionen zum Gegenvorschlag

Volkswirtschaftsdirektorin Fuhrer sieht im «ZFI plus» ein transparentes Instrument, das Flughafen und Bevölkerung nützt. Die Nein-Parole der Schutzverbände führt sie auf mangelnde Argumente zurück.

Frau Fuhrer, was passiert, wenn die Stimmbürger ein Ja zur Plafonierungsinitiative einlegen?
Rita Fuhrer: Wenn eine Mehrheit Ja stimmt, muss sich die Zürcher Regierung beim Bund dafür einsetzen, dass die Plafonierung bei 250 000 Bewegungen und eine neunstündige Nachtruhe eingeführt werden. Die Frage ist nur, wie man das umsetzen könnte, denn die Luftfahrtpolitik des Bundes hält eine nachhaltige, aber nachfrageorientierte Entwicklung am Flughafen für notwendig. Ich glaube nicht, dass der Bund eine Plafonierung gutheissen würde.

Wie stellt sich der Regierungsrat das Vorgehen vor?
Es gibt dazu natürlich noch keinen Beschluss. Der Regierungsrat ist optimistisch und glaubt daran, dass die Bevölkerung eine gute Lösung wählen wird. Das ist ganz sicher der Index, der aufzeigt, wie stark die Leute betroffen sind.

Trotzdem müssen Sie vorbereitet sein auf ein Ja.
Es gibt Diskussionen auf allen Ebenen, was man im Worst Case unternehmen würde. Aber es gibt nicht viele Mittel. Die Plafonierung ist ein unvernünftiges Mittel, weil man sie nicht durchsetzen kann und weil sie den Lärm nicht reduziert. Wenn die Airlines dazu übergehen, wegen eines Plafonds grössere Flugzeuge einzusetzen, dann haben wir mehr Lärm.

Wäre eine der Möglichkeiten zur Umsetzung eine Lenkungsabgabe auf Landerechten?
So geht das nicht. Man darf nicht einfach so Gebühren erheben, sondern sie müssen im Verhältnis zu den Aufwendungen stehen. Dabei müssen wir Rücksicht auf internationale Verträge nehmen. Der Bund müsste Anpassungen im Luftfahrtgesetz vornehmen, und darüber entscheiden dann das Parlament und die Kantone.

Im Gespräch ist auch die Verlagerung von Teilen des Verkehrs nach Dübendorf; was halten Sie davon?
Das Pistensystem in Dübendorf lässt grosse Flugzeuge gar nicht zu, und die ganz kleinen sind am Flughafen Zürich lärmmässig nicht spürbar.

Aber sie verursachen Flugbewegungen.
Sie reden wieder von Flugbewegungen und ich vom Lärm. Die Initianten behaupten ja, der Grund für ihre Initiative sei der Lärm, also reden wir bitte über den Lärm. Wenn sie ein anderes Ziel haben, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit des Flughafens zu vermindern, dann haben sie es zu verantworten, wenn Arbeitsplätze verloren gehen.

Sie sagen, eine Plafonierung gefährde Arbeitsplätze. Aber auch der Gegenvorschlag enthält eine Plafonierung. Wie passt das zusammen?
Die Regierung hat nur den Zürcher Fluglärm-Index (ZFI) als Gegenvorschlag vorgestellt, und der Kantonsrat hat ihn mit dem Plafond angereichert. Vernünftigerweise würde der «ZFI plus» aber nicht schon heute eine Plafonierung verfügen, sondern eine erneute politische Diskussion, wenn die 320 000 Bewegungen erreicht sind. Wenn es schon sein muss, ist das der bessere Weg. Damit kann der Regierungsrat gut leben.

Es ist also möglich, dass - je nach Ausgang der dannzumaligen Diskussion - die Grenze von 320 000 Bewegungen überschritten werden kann?
Ja, wenn zum Beispiel in der Diskussion aufgezeigt werden könnte, dass dank technischem Fortschritt die Lebensqualität auch mit über 320 000 Bewegungen unverändert bleibt.

Der ZFI definiert einen Richtwert mit einer maximalen Anzahl stark belästigter Personen. Diese 47 000 Leute sind dann aber beliebig beschallbar.
Das ist ein sehr emotionales Argument der Gegner, das schwer zu entkräften ist. Es sind nicht 47 000 Personen, über deren Interessen wir uns hinwegsetzen. Sie werden mit dem Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) Planungs- und Rechtssicherheit erhalten. Zudem kommen sie in den Genuss der Massnahmen zur Lärmreduktion. Aber es gibt die Realität. Wer nahe an einer zentralen Verkehrsinfrastruktur leben will, hat eine höhere Belastung zu gewärtigen. Deshalb können wir auch nicht einen Richtwert null definieren.

Der Richtwert ist in der Gesetzesvorlage nicht festgeschrieben; kann er beliebig verändert werden?
Die Regierung hat sich für den jetzigen Richtwert ausgesprochen und wird sich an dieses Versprechen sicher halten. Es wird im Falle eines Ja zum «ZFI plus» eine Verordnung mit diesem Richtwert geben, aber keine Garantie, dass er ewig auf diesem Niveau bleibt.

Mit dem ZFI kauft der Bürger die Katze im Sack. Die Zahlen für die Jahre 2005 und 2006 kennt er nicht, warum werden sie unter Verschluss gehalten?
Die genauen Zahlen für diese beiden Jahre gibt es nicht. Die Empa hat ohne Auftrag der Regierung wohl eine Art Kontrollrechnungen gemacht, um zu sehen, ob sich etwas entwickelt. Wenn wir eine genaue Zahl wollen, muss die Empa zuerst die Bevölkerungszahlen in den Gemeinden und den Flottenmix erheben. Das ist ein grosser Aufwand. Wir haben diese Rechnungen nicht gemacht, weil ich zuerst wissen will, ob die Bevölkerung das Instrument ZFI überhaupt will.

So weiss die Bevölkerung aber nicht, ob die Belastung zu- oder abnimmt.
Ja, aber weder ZFI noch Plafonierungsinitiative sagen etwas aus über den Lärm in einer bestimmten Region, solange der SIL und das definitive Betriebsreglement nicht beschlossen sind.

Der Schutzverband und weitere Verbände lehnen den «ZFI plus» als zu schwammig ab. Untergräbt das nicht die Glaubwürdigkeit dieses Instruments?
Nein, das untergräbt nur die Glaubwürdigkeit der Schutzverbände. Etwas Klareres als die Transparenz des ZFI kann es gar nicht geben. Aber die Verbände und Protestorganisationen haben eigene Initiativen lanciert und sehen deren Erfolg durch den ZFI gefährdet. Weil er besser ist.

Zu den Gegnern gehören auch die Swiss und der Flughafen, der an der Erarbeitung des ZFI beteiligt war. Fühlen Sie sich im Stich gelassen von Unique?
Nein, ich bin der Flughafengesellschaft dankbar, dass sie uns alle für die Berechnung des ZFI notwendigen Daten zur Verfügung gestellt hat. Diese beiden profitorientierten Unternehmen wollen so wenig Einschränkungen wie möglich, das kann ich nachvollziehen. Im Gegenzug hält sich der Flughafen im Abstimmungskampf zurück.

Vor Jahresfrist sind Sie wie eine Wanderpredigerin mit dem ZFI durch den Kanton gezogen. Seither haben Sie wenig unternommen - aus Enttäuschung über den nachträglich eingebauten Plafond?
Nein, das ist nicht der Grund. Ich wollte mit meinen Vorträgen in den Bezirken die Diskussion lancieren und eine erste emotionale Reaktion in eine sachliche überführen. Jetzt ist es die Aufgabe des Kantonsrats, seinem Vorschlag zum Durchbruch zu verhelfen. Ich stelle mich der Diskussion, aber es ist nicht mehr meine Aufgabe, auf Podien zu gehen.

Bei einem Ja zur Plafonierungsinitiative müsste Swiss laut CEO Christoph Franz einen Drittel der Langstreckenflüge streichen. Den «ZFI plus» lehnt er ab, weil er ebenfalls eine Bewegungsgrenze enthält. Herr Franz, wie würde sich die Annahme der Plafonierungsinitiative auf Swiss auswirken?
Christoph Franz: Es geht um die Frage, wie sich der Home-Carrier am Flughafen weiterentwickeln kann. Der Flughafen könnte bei einem Ja unternehmerisch eher besser mit dem Resultat leben als Swiss, weil die Nachfrage nach Start- und Landemöglichkeiten das Angebot übersteigt und damit die vorhandenen Ressourcen, die Slots, knapp und deshalb wertvoller werden. Für Swiss wären die Konsequenzen gravierender: Sie wäre mit der Tatsache konfrontiert, dass sie ihre klassische Drehscheibenfunktion bei einer Ausdehnung der Nachtflugsperre nicht mehr wahrnehmen könnte. Das heisst, dass wir einen Drittel der Langstreckenflüge schlicht streichen müssten.

Aber der Hub könnte weiterbetrieben werden?
Der Hub könnte als regionales europäisches Drehkreuz weiterbetrieben werden, aber nicht als nennenswerte interkontinentale Drehscheibe. Wenn wir einen Drittel der Langstreckenflüge wegstreichen, dann kostet das ein paar tausend Arbeitsplätze, aber vor allen Dingen der Schweiz Wohlstand. Der zweite Teil der Plafonierungsinitiative ist die Limitierung der Flugbewegungen. Diese würde absehbar dazu führen, dass wir schrumpfen müssten. Damit würde kein Lärmproblem gelöst, aber eine weitere Entwicklung von Swiss würde ausgebremst.

Wie viele Bewegungen fliegt Swiss in Zürich?
Dieses Jahr erwarten wir 130 000 Bewegungen.

Die verlängerte Nachtruhe macht Ihnen mehr Sorgen als die Bewegungsbeschränkung?
Nein, ich weiss nur, dass die längere Nachtruhe viel schneller wirkt. Der Flughafen Zürich ist der einzige interkontinentale Flughafen weltweit, der schon heute mit einer absoluten Nachtsperre von sechs Stunden operiert. Die Swiss hat der Verlängerung auf sieben Stunden, die zwar im Moment noch nicht in Kraft ist, aber faktisch praktiziert wird, zugestimmt, um dem Ruhebedürfnis der Bevölkerung entgegenzukommen. Darüber hinaus lässt sich kein Hub betreiben. Für uns sind diese sieben Stunden das Ende der Fahnenstange.

Sie haben angedeutet, dass Swiss im Falle eines Ja zur Initiative den Wegzug erwägen würde.
Ich habe nie von Wegzug gesprochen, denn es gibt in der Schweiz keine andere Möglichkeit, interkontinentalen Flugverkehr in dieser Grössenordnung abzuwickeln. Genf hat nur eine Start- und Landebahn. Die einzige Alternative, die es gibt, ist der Abzug von Flugzeugen nach Frankfurt oder München. Damit will ich aber noch nicht einmal drohen. Am Ende ist es ja nicht die Zürcher Bevölkerung, sondern der Bund, der entscheidet. Wir würden alles daransetzen, dass der Bund die Interessen der Schweiz schützt.

Ist es in diesem Kontext ein Nachteil, dass Swiss nicht wirklich die nationale Fluggesellschaft ist, sondern eine günstig erworbene Lufthansa-Tochter?
Auch Nestlé und UBS sind mehrheitlich in ausländischem Besitz. Wir sind die nationale Schweizer Luftfahrtgesellschaft. Die Frage des Eigentums ist völlig irrelevant. Entscheidend ist, wo die Leistung erbracht, die Arbeitsplätze geschaffen und die Entscheidungen getroffen werden.

Dennoch wird die Intervention des deutschen Chefs eines deutschen Unternehmens im Abstimmungskampf kritisiert. Haben Sie das unterschätzt?
Dass der Abstimmungskampf irgendwann mal persönlich wird, ist bedauerlich. Aber das passiert nicht nur in der Schweiz. Für mich ist das ein klares Zeichen, dass die Sachargumente nicht mehr ausreichen. Tatsache ist, dass auf die Richtigen geschossen wird, denn Swiss würde unter der Initiative massiv leiden. Wir haben im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern keine Ausweichmöglichkeiten. Ich engagiere mich im Übrigen nicht nur gegen die Plafonierungsinitiative, sondern auch für eine Lockerung der deutschen Verordnung. Die ist ja eigentlich der Grund, dass es so weit gekommen ist. Ich wundere mich, dass diese Anflugbeschränkungen nicht viel stärker als nationales Problem gegenüber Deutschland geltend gemacht werden.

Haben Sie Anzeichen für eine Entspannung?
Ich habe gehofft, dass die Schweiz und Deutschland noch vor der Abstimmung ein für beide Seiten befriedigendes Resultate vorweisen können. Das hätte die Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Flughafen stark positiv beeinflussen können. Wenn wir die Akzeptanz des Flughafens nicht sicherstellen können, haben wir keine vernünftigen Perspektiven. Ein Wachstum gegen die Bevölkerung durchzuführen, wäre naiv.

Finden Sie es verständlich, dass sich Unique-CEO Josef Felder in nobler Zurückhaltung übt und Sie an der Front die Prügel einstecken müssen?
(Zögert.) Der Flughafen Zürich befindet sich zu einem guten Drittel im Besitz des Kantons Zürich, dies ist ein gewichtiger Unterschied zu Swiss. Materiell vertreten Swiss und Unique aber genau die gleiche Position.

Sie lehnen nicht nur die Initiative, sondern auch den Gegenvorschlag «ZFI plus» ab. Wieso?
Der «ZFI plus», so wie er heute konzipiert ist, hat ja auch eine Plafonierung, die etwas später, bei 320 000 Bewegungen jährlich, in Kraft tritt. Der Index gewichtet die Belastung in den Randstunden sehr hoch. Dadurch kommen Elemente in die Berechnung, die ausserhalb unseres Einflussbereichs sind. Wenn beispielsweise eine andere Fluggesellschaft am Morgen mit lauten Maschinen anfliegt, dann reagiert der Index sehr empfindlich, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen könnten. Das Gleiche gilt, wenn die Bevölkerung rund um den Flughafen weiterhin stark wächst.

Sie lehnen jegliche Begrenzung ab?
Ja. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir das Wachstum an Flugbewegungen mit einer geringeren Lärmbelastung unter einen Hut bringen können, zum Beispiel mit Milliardeninvestitionen in leisere Flugzeuge.

Der ZFI wurde lanciert, um einen Plafond zu verhindern. Ist eine Ablehnung nicht ein Risiko?
Das ist eine gute Frage. Aus politisch-taktischer Sicht im Hinblick auf die hängigen weiteren Initiativen hätten wir dem «ZFI plus» vielleicht zustimmen müssen. Aus unternehmerischer Sicht können wir das nicht, Swiss ist keine politische Partei. Eine Firma, die in einem wachsenden Markt nicht wachsen kann, wird sich mit der Zeit verabschieden oder eine Nischenrolle übernehmen müssen.

Kritisiert wird häufig die steigende Zahl von Transferpassagieren, welche Strategie verfolgen Sie hier?
Wir kaufen sicher keine Flugzeuge, um mehr Umsteigepassagiere nach Zürich zu holen. Swiss hat verglichen mit den europäischen Konkurrenten bewusst einen geringen Anteil von Transferpassagieren. Unsere primäre Rolle ist die Versorgung des Heimmarkts. Ein Ausbau erfolgt Schritt für Schritt, sehr nachfrageorientiert.

Interview: ark.

Die Position der NZZ

zz. Die kantonale Volksinitiative «Für eine realistische Flughafenpolitik» fordert eine Plafonierung der Bewegungen auf dem Flughafen Zürich bei maximal 250 000 pro Jahr und eine Verlängerung der Nachtruhe von sechs auf neun Stunden. Der Gegenvorschlag des Kantonsrats will das Flughafengesetz mit dem «Zürcher Fluglärm-Index (ZFI) plus» ergänzen. Der ZFI plus ermittelt die vom Fluglärm stark belästigten Personen. Wird ein Richtwert von 47 000 Personen oder 320 000 Flugbewegungen erreicht, muss die Regierung Massnahmen prüfen und den Kantonsrat konsultieren. Die NZZ lehnt die Plafonierungsinitiative ab, weil sie die Prosperität des Flughafens, der Swiss und des Standorts Zürich gefährdet. Den Gegenvorschlag befürwortet sie, weil er die Erfolgschancen für weitere Plafonierungsvorhaben mindert und dem Flughafen keinen starren Deckel verpasst. Bei der Stichfrage bevorzugt sie den Gegenvorschlag.

NZZ, 12.11.2007

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