Die Vernunft spricht für den Gegenvorschlag (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
IM BRENNPUNKT: DIE FLUGHAFEN-VORLAGEN

Von Liliane Minor

Maximal 250 000 Flugbewegungen im Jahr und Nachtruhe von 22 bis 7 Uhr: Was die Volksinitiative «für eine realistische Flughafenpolitik » verspricht, klingt verlockend für so manchen Fluglärmgeplagten.   Zumal die Initianten noch mehr versprechen. Zum Beispiel, dass nach einem Ja viel leichter ein allgemein verträgliches Betriebssystem gefunden werde, weil sich auch die Differenzen mit Deutschland in Luft auflösten. Und dass ganz nebenbei auch das Klima profitiere.
Bloss: So einfach ist die Sache nicht. Die «realistische Flughafenpolitik», welche die Volksinitiative im Titel verspricht, kann sie nicht halten. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um die Wirtschaft.
Dass die Gegner in ihrer Kampagne bereits von einem zweiten Grounding reden, ist massiv übertrieben. Selbstverständlich hätte die Wirtschaft etwelche Schwierigkeiten, sich anzupassen, würde die Initiative wörtlich umgesetzt, denn mit neun Stunden Nachtruhe würde der Betrieb eines Hub erschwert. Man darf aber nicht vergessen, dass der Flughafen – zum Glück – nicht der einzige Motor der Wirtschaft ist. Und: Die Zahl der für die Wirtschaft wichtigen Linien- und Charterflüge liegt derzeit unter 250\'000.

Nicht mehr als ein Hilfeschrei

Hauptargument gegen die Volksinitiative ist die simple Tatsache, dass sie nichts bringt. Im Gegenteil: Sie streut den Lärmgeplagten Sand in die Augen. Über Flugwege, Flugzeiten und Flugbewegungen entscheidet der Bund. Die Forderungen der Initiative aber laufen der vom Bund formulierten Flughafenpolitik diametral entgegen. Es ist naiv zu glauben, Bern werde diese Politik nach einem Ja umstossen. Ein Ja ist bestenfalls ein verzweifelter Hilfeschrei. Mehr nicht.
Ebenso naiv ist es zu glauben, ein Ja werde der Zürcher Regierung in den Verhandlungen mit Bern den Rücken stärken. Viel wahrscheinlicher sind zwei andere Szenarien: Möglichkeit eins ist, dass die Zürcher Regierung mit dem Argument, in Bern sowieso nicht gehört zu werden, die Hände in den Schoss legt. Wie sich Behörden um unangenehme Aufträge foutieren und deren Umsetzung hinausschieben können, hat die Alpeninitiative gezeigt.
Möglichkeit zwei ist, dass die Initiative der Regierung, wenn sie auf deren Umsetzung besteht, jeglichen Verhandlungsspielraum verbaut. Beide Szenarien wären den Interessen Zürichs nicht dienlich.
Schliesslich zieht auch das Klima-Argument nicht. Solange Fliegen billig ist, wird geflogen. Wenn nicht ab Zürich, dann halt ab Basel, Genf, Frankfurt, München, Stuttgart. Wer daran etwas ändern will, muss auf höherer Ebene ansetzen als mit einer Volksinitiative im Kanton Zürich.
Ganz anders sehen die Dinge beim Gegenvorschlag aus. Dieser hat zwar auch seine Tücken.
In einem Klima, das seit Jahren von Misstrauen geprägt ist, stösst ein Vorschlag naturgemäss auf wenig Begeisterung, dessen Kernstück ausser Experten niemand, auch nicht die zuständige Regierungsrätin Rita Fuhrer, à fonds verstehen kann. Aber das ist kein Grund für ein Nein.
Denn der Gegenvorschlag ist, nüchtern betrachtet, die vernünftigste Vorlage im überbordenden Markt der Flughafenvorstösse. Er setzt dort an, wo die Regierung in eigener Kompetenz handeln kann: bei der Anzahl der Menschen, die vom Fluglärm stark belästigt werden. Mittel dazu ist der Zürcher Fluglärm-Index (ZFI), eine Methode, mit der berechnet wird, wie viele Menschen vom Fluglärm stark betroffen sind und wie sich dieser Wert verändert.
Steigt die Zahl der Betroffenen über 47 000 – was mit dem heutigen Betriebssystem bei rund 320 000 Bewegungen der Fall wäre – muss die Regierung handeln.
Was sie tun muss, ist nicht näher definiert. Genau darin liegt die Qualität des Gegenvorschlags: Der Kanton Zürich kann jene Massnahmen ergreifen, die umsetzbar und der Entwicklung angemessen sind. Das werden nicht in erster Linie, wie von vielen Gegnern befürchtet, ZFI-kompatible Flugwege sein, denn Flugwege legt der Bund fest. Der Kanton wird vor allem in der Raumplanung eingreifen, könnte aber auch in den Schallschutz oder gar in Umsiedlungen investieren.

Pseudo-Plafond als Zückerchen

Richtig ist, dass dem Flughafen damit keine harten Grenzen gesetzt werden. Daran kann auch der nachträglich vom Kantonsrat in den Gegenvorschlag eingebaute «Marschhalt» bei 320\'000 Bewegungen wenig ändern. Mehr als ein Zückerchen ist dieser Pseudo-Plafond nicht. Denn ob der Kantonsrat bei steigenden Bewegungszahlen diese Entwicklung abwürgen könnte (wenn er das dann überhaupt noch wollte), ist höchst zweifelhaft.
Trotz dieser Mängel ist ein Ja zum Gegenvorschlag sinnvoll. Die Absicht der im Schutzverband zusammengeschlossenen Gemeinden, mit einem doppelten Nein den Weg für ihre eigene Behördeninitiative zu ebnen, könnte sich als vergebliche Hoffnung erweisen. Wohl ist dieser Vorschlag – er verlangt eine Beschränkung auf 320 000 Bewegungen und acht Stunden Nachtruhe – gemässigter als die Volksinitiative. Aber er krankt am gleichen Problem, der Durchsetzbarkeit auf Bundesebene. Mehr als sieben Stunden Nachtruhe liegen für Bern nicht drin.
Und vor allem: Ein doppeltes Nein liesse sich kaum als Sieg der gemässigten Flughafenkritiker verkaufen, sondern würde von Unique, Swiss und all jenen Kreisen, die möglichst uneingeschränktes Wachstum für den Flughafen fordern, als Freipass verstanden. Damit aber wäre die Chance, dass der Kantonsrat Ja sagt zur Behördeninitiative, gleich null – womit nichts erreicht wäre.

Ein doppeltes Nein würde von Unique und Swiss als Freipass verstanden.

Tages-Anzeiger, 10.11.2007, Seite 13


Kommentar VFSN: Die Schlussfolerung ist richtig: "Ein doppeltes Nein würde von Unique und Swiss als Freipass verstanden." Und was stimmt man logischerweise um diesen Freipass zu verhindern? Natürlich 2 x JA!