«Zwei Mal Nein wäre ein Ja zum Wachstum» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Dass der Flughafen nicht grenzenlos wachsen kann, darüber sind sich Linke und Bürgerliche einig. Uneinig sind sie, wie und welche Grenzen gesetzt werden sollen.

Mit Ruedi Lais und Beat Walti* sprach Liliane Minor

Herr Lais, es wird kritisiert, die in der Flughafeninitiative vorgesehenen Eckwerte von 250\'000 Bewegungen und neun Stunden Nachtruhe seien zu extrem. Wäre weniger nicht mehr?

Ruedi Lais: Wir haben im Kantonsrat immer gesagt, wenn ein Gegenvorschlag mit acht Stunden Nachtruhe durchkäme, würden wir die Initiative zurückziehen. Aber ein solcher Gegenvorschlag war im damaligen Kantonsrat nicht mehrheitsfähig.

Beat Walti: Weil acht Stunden für den Flughafenbetrieb nicht tragbar sind. Da aber die Initiative vor allem als Signal an die Entscheidungsträger wirkt, ist die Höhe der effektiven Eckwerte nicht so bedeutend.

Heisst das, dass die Volksinitiative gar nicht so gefährlich ist, wie man in der Gegnerschaft behauptet, weil sie ohnehin nicht wörtlich umgesetzt werden kann?

Walti: Nein, das will ich nicht so stehen lassen, nur schon aus Respekt vor der Demokratie nicht. Wir sind mit einer konkreten politischen Forderung konfrontiert. Und der Stimmbürger erwartet, dass diese Forderung umgesetzt wird, wenn sie eine Mehrheit findet. Die Signalwirkung in Bern wird also nicht ausbleiben. Ein Ja zur Initiative wäre ein ungünstiges Signal. Wir müssen deshalb sagen, welches die Konsequenzen einer Umsetzung wären.

Lais: Es geht hier nicht um die Signalwirkung, sondern um ein demokratisches Mitbestimmungsrecht. Es zeigt sich, dass der Bund lokale Anliegen immer respektiert hat, sofern sie mehrheitsfähig waren, das war in Kaiseraugst so, am Wellenberg, in Rothenthurm, bei der Alpeninitiative.

Die Alpeninitiative zeigt aber auch, wie die Umsetzung herausgeschoben wird.

Lais: Die Schweiz macht erhebliche Anstrengungen, auch in den Verhandlungen mit dem Ausland, um dem Ziel der Alpeninitiative näher zu kommen. Sie kann das Ziel aber nicht allein umsetzen. Und genau so ist es auch beim Flughafen, die Schweiz ist nicht autonom. Aber die Initiative formuliert einen Verfassungsauftrag: Die Behörden haben einen Auftrag, in einer bestimmten Richtung zu arbeiten.

Walti: Diese Vorlagen sind nicht vergleichbar. Bei all den anderen Begehren gab und gibt es Ausweichmöglichkeiten für die Bundespolitik. Die Gefahr beim Thema Flughafen ist doch, dass es als Zürcher Problem aufgefasst werden kann. Wenn Bündner und Walliser finden, es sei gut, einen grossen interkontinentalen Flughafen in Zürich zu haben, dann sehen die Mehrheitsverhältnisse anders aus.

Die Wirtschaft befürchtet massive Folgen, wenn die Initiative umgesetzt würde.

Lais: An diese Folgen glaube ich nicht. Man muss unterscheiden zwischen der volkswirtschaftlichen Dimension und der betriebswirtschaftlichen, die nur ein paar – zugegeben wichtige – Einzelfirmen betrifft. Eine längere Nachtruhe ist für sie ein Nachteil im Wettbewerb: Andere Hubs haben keine gesetzliche Nachtruhe. Aber sie liegen auch nicht mitten in einer Stadt. Wir müssen vom ewigen Wachstum endlich Abschied nehmen.

Walti: Wir reden nicht über Wachstum, sondern über Reduktionspläne. In einem Rahmen muss eine Entwicklung möglich sein. Ein dichtes Netz an direkt angeflogenen Destinationen ist für eine exportorientierte Wirtschaft extrem wichtig.

Lais: Es wären nur einzelne Destinationen betroffen, wenn die Nachtruhe verlängert würde. Diese fallen nicht gross ins Gewicht. Die meisten Überseeverbindungen sind nur mit einem riesigen Anteil von Transferpassagieren möglich. Warum sollen Ausländer in Zürich umstiegen, die Zürcher aber nirgends?

Trauen Sie, Herr Walti, der Wirtschaft die Robustheit nicht zu, ein Ja zu überstehen?

Walti: Die Wirtschaft übersteht immer, die Frage ist auf welchem Niveau. Der globale Standortwettbewerb ist so hart, dass kleinste Vorteile eine Rolle spielen. Und die Luftinfrastruktur ist sehr wichtig.

Aber man könnte viele Linienflüge durch Hochgeschwindigkeitszüge ersetzen.

Walti: Nach München fährt man noch immer mit Diesel, bis da ein ICE unterwegs ist, dauert es noch ewig.

Lais: Ich erinnere Beat Walti daran, dass die FDP Zürich dagegen war, dass der Bund einen besseren Anschluss seiner grössten Metropole ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz finanziert.

Zum Gegenvorschlag, der mittels einer Formel die Zahl der Fluglärmgeplagten begrenzen will: Er sei unverständlich, sagen die Gegner. Herr Walti, verstehen Sie die Formel?

Walti: Ich kann nicht behaupten, die Formel des Zürcher Fluglärmindex (ZFI) in allen Facetten zu verstehen. Zentral ist, dass man damit einen kontinuierlichen Beobachtungsprozess und eine Messgrösse hat, die in den politischen Prozess einfliessen kann.

Das ist doch die Krux: Wie wollen Sie jemandem, der in Gockhausen morgens um sechs aufwacht, mit einer Formel erklären, warum er nicht als stark betroffen gilt?

Walti: Es ist das Wesen eines Indexes, dass sich der Einzelne nicht unbedingt findet im Ergebnis dieser Berechnung. Aber man wird regionale Aussagen machen können, wie stark die Betroffenheit ist.

Lais: Wenn man festlegt, dass höchstens 47\'000 Menschen stark betroffen sein dürfen, muss es für den Einzelnen klar sein, ob er einer dieser Betroffenen ist oder nicht. Schliesslich sollten wir im Kantonsrat auf Grund der Formel die Raumplanung so umbauen können, dass die Zahl der Betroffenen sinkt. Da ist eine quadratmeterscharfe Berechnung wichtig und die Formel erlaubt das auch.

Trotzdem: Wäre ein einfacherer Gegenvorschlag nicht besser gewesen?

Lais: Ich habe an sich nichts gegen die Formel, nur bringt sie dem Einzelnen nichts. Es werden sich viele Menschen betrogen fühlen, wenn sie laut ZFI nicht als lärmbelästigt gelten. Die Leute haben das Vertrauen verloren. Ich finde es falsch, die Formel zum Gegenvorschlag zu erheben. Aber es gibt darin ja noch den minimalen Plafond und die siebenstündige Nachtruhe, deshalb kann ich auch dem Gegenvorschlag zustimmen.

Walti: Ich teile die Einschätzung von Ruedi Lais, was das Grundproblem betrifft: Es ist die fehlende Transparenz in der Flughafenpolitik und damit das fehlende Vertrauen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt glaube ich, dass ein langfristiger, gesteuerter Prozess, der periodisch die Fakten auf den Tisch legt, viel wert ist. Das hat erfahrungsgemäss eine disziplinierende Wirkung im politischen Prozess. Wir müssen dann hoffentlich nicht mehr alle paar Monate einen Vorschlag dieser oder jener Fraktion beraten. Was die Einfachheit des Gegenvorschlags betrifft: Es ist darin auch festgelegt, dass bei 320\'000 Bewegungen eine neue Lagebeurteilung vorgenommen und entscheiden wird, was das weitere Vorgehen ist. Und wir schreiben sieben Stunden Nachtruhe fest.

Glauben Sie wirklich, dass der Kanton eingreifen will und kann, wenn die Bewegungszahlen steigen?

Lais: Der Kantonsrat stünde unter dem Druck des Volkes. Aber die Kritik ist berechtigt. Wenn wir bei 320\'000 Bewegungen zu diskutieren beginnen, werden die Wachstumsbefürworter sagen, jetzt können wir doch keinen Schritt zurück machen. Ein Abschied der Flughafenturbos vom Wachstum ist dieser Gegenvorschlag nicht. Die Freisinnigen beispielsweise haben sich nie gegen den Ausbau des Pistensystems ausgesprochen.

Walti: Ich kann doch heute nicht sagen, was beim Erreichen von 320\'000 Bewegungen meine Position und die des Freisinns sein wird. Ich möchte das dann unter dem Gesichtspunkt der Staatsvertragsverhandlungen, des Betriebssystems und der technischen Entwicklung beurteilen.

Lais: Wir müssen Verständnis dafür haben, dass die Bevölkerung jetzt Antworten haben will, wie es weiter gehen soll.

Etwa auf die Frage, was die Regierung tun wird, wenn das Maximum von 47\'000 Betroffenen überschritten wird.

Lais: Die Formel anpassen.

Walti: Das ist sehr salopp. Wenn wir so diskutieren, können wir gleich in den altbekannten Schützengräben bleiben!

Lais: Das ist nicht salopp, das glaube ich wirklich, denn die ZFI-Formel ist gar nicht Teil der Abstimmungsvorlage.

Walti: Die Formel anzupassen wäre ein Akt, der in höchstem Grad politisch erklärungsbedürftig wäre. Das wird nicht stattfinden.

Was wird dann stattfinden?

Walti: Es gibt nicht viel was die Regierung in eigener Kompetenz durchsetzen kann. Für mich steht im Vordergrund, was subsumiert werden kann unter «die Regierung wirkt darauf hin, dass». Also ein Plafond oder eine Änderung des Betriebssystems. Weiter kann man über Lärmgebühren Einfluss nehmen. Und schliesslich sind raumplanerische Massnahmen möglich.

Lais: In die Raumplanung habe ich jeden Glauben verloren. Herr Stucki tat nichts, Herr Hofmann nicht, Frau Fierz nicht, Frau Gut nicht, und Herr Kägi tat bisher natürlich auch noch nichts gegen das Bauen in den Flugschneisen.

Trotzdem glauben Sie, dass die Regierung handelt, wenn eine der Vorlagen angenommen wird?

Lais: Wenn die Regierung das nicht tut, dann haben wir eine mittlere Staatskrise.

Walti: Ohne Gegenvorschlag wird die Situation nicht besser. Es ist das, was man ohne zu lügen versprechen kann.

Wenn wir ehrlich sind, droht aber ein doppeltes Nein.

Lais: Das sehe ich nicht so, es sind sehr kleine Gruppierungen, die dafür werben.

Klein? Immerhin ist der Schutzverband für ein doppeltes Nein.

Lais: Der Schutzverband ist ein schwacher Verband, dazu kommen die IG Nord und die CVP. Sie überschätzen sich völlig, wenn sie glauben, zwei Mal Nein würden als Sieg für sie verstanden. Das wäre ein Ja für weiteres Wachstum.

Walti: Zwei Mal Nein wäre ein nicht interpretierbares Ergebnis. Es wäre ein Salto rückwärts, zu sagen, die Leute hätten trotzdem gern eine Plafonierung.

* Ruedi Lais ist Mit-Initiant der Initiative und SP-Fraktionspräsident im Kantonsrat. Die SP ist für ein doppeltes Ja, zieht aber die Initiative in der Stichfrage vor.
Beat Walti ist FDP-Fraktionspräsident. Die FDP ist gegen die Initiative und für den Gegenvorschlag.

Tages-Anzeiger, 08.11.2007

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