«Pistenveränderungen bringen Vorteile» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Flughafenschutzverband bricht mit einem Tabu: Von Anpassungen am Pistensystem könnten auch die fluglärmgeplagten Gemeinden profitieren, sagt Peter Staub.

Mit Peter Staub* sprach Daniel Schurter

Herr Staub, träumen Sie vom Flughafen?
(lacht) Ja, wenn ich reisen möchte.

Wie ist es mit Alpträumen?
Nein, nein. Klar hätte ich gerne weniger Fluglärm. Klar stört es mich an einem schönen Sonntag auch, wenn ein Flieger nach dem anderen kommt. Aber ich habe deswegen keine schlechten Träume.

Teilen der Bevölkerung ergeht das anders.
Es gibt sicher Leute, die sich tödlich ärgern. Und solche, die den Lärm gelassen nehmen. Man lebt ja in einem gewissen Widerspruch, nutzt auch die Vorteile, die ein nahe liegender Flughafen bietet.

Flughafennah leben, aber bitte ohne Fluglärm
Es macht mich extrem wütend, wenn gesagt wird, wir wollten keinen Fluglärm. Denn das ist einfach nicht wahr. Die Gemeinden im Norden und Westen des Flughafens leben seit über 50 Jahren mit Fluglärm und werden auch in den nächsten Jahrzehnten damit leben müssen. Wir wehren uns nicht gegen die Dinge, auf die wir wirtschaftlich angewiesen sind. Ich setze mich aber dafür ein, dass wir nicht alles ertragen müssen.

Zentrale Forderung des Schutzverbandes ist die lärmmässige Gleichbehandlung der Gemeinden
Nein, das haben wir nie gesagt. Das geht auch gar nicht. Kanalisierung und Verteilung sind Worte, die falsch interpretiert werden können. Der Flugbetrieb ist durch das Pistensystem vorgegeben. Die Nordausrichtung ist Tatsache. Es bleibt auch so, dass wir im Westen wahrscheinlich 70 oder 75 Prozent Abflüge haben. Und der Norden wird 80 Prozent Anflüge haben.

Und was ist mit dem Süden?
Teile des Südens dürfen nicht ausgeklammert werden. Sie müssen einbezogen werden, dann findet man auch mit Deutschland eine Lösung. Das ist der Gordische Knoten in der Flughafenfrage, das habe ich auch Rita Fuhrer schon tausendmal gesagt. Solange sie so weitermacht, wie sie bislang politisiert hat, werden die Deutschen sicher nicht einlenken.

Der deutsche Widerstand ist gut für Sie?
Das ist eine heikle Aussage. Ich werde sicher nicht sagen, die Deutschen helfen dem Schutzverband. Wir haben Anfragen bezüglich einer Zusammenarbeit immer abgelehnt. Lassen Sie es mich diplomatisch ausdrücken: Deutschland zwingt uns, neue Lösungen zu suchen.

Wie soll diese Lösung aussehen?
Die beste Lösung wäre die Rotation. Auch wenn man sie laut Bazl nicht hundertprozentig so fliegen kann, wie wir es vorgeschlagen haben. Aber: Wenn wir eine Verteilung der Flugbewegungen fordern, muss man dem Flughafen auch die technischen Möglichkeiten dazu geben. Hier komme ich zu einem sehr heiklen Punkt, den viele nicht gern hören: Wir wissen, dass gewisse Veränderungen am Pistensystem einen besseren Flugbetrieb ermöglichen würden.

Sie sind für einen Pistenausbau?
Pistenveränderungen können einen optimaleren Betrieb mit Rotation inklusive Ruhefenster für die Gemeinden bringen. Ich könnte das unterschreiben, aber nur unter einer Bedingung: Wenn maximal 320\'000 Flugbewegungen und eine Nachtruhe von mindestens sieben Stunden garantiert sind. Gemeint sind sieben Stunden absolute Nachtruhe und morgens und am Abend eine Stunde mit Randzeiten-Bewirtschaftung.

Warum die Begrenzung bei 320 000?
Diese Zahl wurde schon 2001 festgelegt, auf Initiative des Schutzverbandes. Damals, noch vor dem Grounding der Swissair, wurde der Flughafen optimal betrieben. Und hätten damit immer noch eine Reserve von ca. 60\'000 Flugbewegungen, ausgehend vom heutigen Zustand. Soll niemand sagen, dass der Flughafen unter diesen Bedingungen nicht betrieben werden kann. An den 320\'000 halten wir fest. Deshalb müssen wir am 25. November zweimal Nein sagen. Wenn wir damit Schiffbruch erleiden sollten, sind wir immerhin glaubwürdig geblieben.

250 000 Flugbewegungen sind zu wenig?
Ja. Ich mache den Bürgerorganisationen keinen Vorwurf. Aber wenn es einen Scherbenhaufen gibt, dann ist er dort produziert worden.

Was ist mit den neun Stunden Nachtruhe?
Das ist noch krasser. Wenn wir neun Stunden Nachtruhe wollen, müssen wir Abschied nehmen vom internationalen Hub. Das können wir uns nicht leisten.

Der Plafonierungsbegriff löst Ängste aus.
Das Thema Arbeitsplätze wurde noch bei jeder Flughafenabstimmung dramatisiert. Plafonierung bedeutet, dass es eine Grenze gibt. Und ohne Wachstum geht heute offenbar die Welt unter.

Wie stehen Sie zum gekröpften Nordanflug?
Das ist nicht die allein seligmachende Lösung.
Ich nehme dazu aber erst Stellung, wenn ich das Gesamtsystem kenne. Wir sprechen heute praktisch nur noch von Anflügen, gleich aus welcher Richtung. Es gibt aber auch die Starts. Die machen viel mehr Lärm.

Wie sind die Kontakte zur Regierung?
Von der Regierung wird alles im stillen Kämmerlein gemacht. Das war vor 2003, mit Ruedi Jeker und dem runden Tisch, anders. Heute stehen uns die offiziellen Kanäle zur Verfügung – reine Alibiübungen. Ich bleibe dabei: Das Ziel der Regierung und der Mehrheit des Kantonsrates ist es, grosse Teile des Südens fluglärmfrei zu machen. Dem wird alles untergeordnet.

Und wie steht es um die Luftbelastung?
Ich kann Ihnen nur so viel verraten: Das Thema Schadstoffbelastungen werden wir in nächster Zeit sehr intensiv angehen. Ich werde an der Delegiertenversammlung im Detail informieren. Wir haben bereits juristische Abklärungen getroffen.

Was hat der Schutzverband erreicht?
Lassen Sie mich eine Hypothese formulieren: Wenn es uns nicht geben würde, wäre alles viel schlimmer. Man kann uns nicht einfach umgehen. Wir waren bei allen Fragen eingebunden – Nachtflugsperre, Lärmschutzverordnung usw. Der Erfolg ist wahnsinnig schwer messbar. Man könnte im Umkehrschluss sagen, dass noch nichts gelöst ist am Flughafen.

Gewisse Fehler wiederholen sich, wenn man die Flughafenpolitik betrachtet.
Die Entscheidungsträger haben immer noch nicht begriffen, dass wir das Thema nicht allein bestimmen können. Es hätte auch in der Vergangenheit Lösungen gegeben und nicht die schlechtesten. Aber aus emotionalen oder parteipolitischen Gründen wurden sie sabotiert. Man konnte zu etwas Gutem nicht Ja sagen, weil es vom Gegner gebracht wurde.

Sie meinen die gescheiterten Verhandlungen mit Deutschland.
Man muss die Ressentiments ausräumen, auf beiden Seiten. Aber auch beweisen, dass man es anders machen will. Die Deutschen sind bereit, einen Teil des Fluglärms zu tragen. Und dann gibt es bei uns Leute, die sagen, wir nicht. Das geht nicht auf! Nach jeder Verhandlungsrunde stand am Schluss jeweils die Frage, wie das gemeinsame Communiqué formuliert wird. Bei der zweitletzten Pressekonferenz konnte sich Jeker zur Aussage durchringen, es gebe keine Tabus. Damit hat er gesagt, dass man alle Regionen einbeziehen muss. Und schon war im Süden der Teufel los.

Haben Sie Energie, weiterzumachen?
Ende der laufenden Legislaturperiode, im Frühling 2010, wird es eine Zäsur geben. Bis dahin werde ich diesen Job aber weiterhin mit Herzblut machen.

*Peter Staub (69, FDP) präsidiert seit 15 Jahren den Flughafen-Schutzverband. Seit 1982 ist er Gemeindepräsident von Dällikon.


Flughafen-Schutzverband wird 40

Der Flughafen-Schutzverband wurde 1967 auf Initiative des Rümlanger Arztes Alois Huwiler von den Gemeinden Bachenbülach, Winkel, Kloten, Opfikon, Rümlang und Oberglatt gegründet. 40 Jahre später umfasst der Verband 70 Gemeinden und 3 Ortsgruppen.
Am 28. November ist die JubiläumsDelegiertenversammlung in Rümlang. Verbandspräsident Peter Staub und seine drei Vorgänger werden dabei auf eine von unterschiedlichen Interessen, Machtkämpfen und Zerreissproben geprägte Geschichte zurückblicken. Denn die Behörden der Flughafen-Gemeinden bewegen sich in einem stetigen Spannungsfeld: Sie sollen die Lebensqualität der Einwohner erhalten und sie vor übermässigem Fluglärm schützen, ohne den Flughafen als Wirtschaftsfaktor zu gefährden. Der Schutzverband hat denn auch das doppelte Nein zur Plafonierungsinitiative und zum kantonsrätlichen Gegenvorschlag ZFI plus beschlossen. Diese Position wird von kleineren Gemeindeorganisationen wie der IG West und der IG Nord gestützt. Die Bürgerorganisationen sind demgegenüber enttäuscht. Die Abstimmung werde die letzte Gelegenheit für die Bevölkerung sein, sich zur Grösse des Flughafens zu äussern, argumentiert etwa Ralph Weidenmann vom Bürgerprotest Fluglärm Ost. Der Schutzverband stelle mit dem doppelten Nein seine Funktion gegenüber der Bevölkerung in Frage. Thomas Morf vom Verein Südschneise Nein bekräftigt: «Die Parolen des Schutzverbandes sind für mich kaum nachvollziehbar.» (dns)

Tages-Anzeiger, 06.11.2007, Regionalteil Zürcher Unterland

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