Die Angststarre überwinden (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
IM BRENNPUNKT: DIE ZUKUNFT DES FLUGHAFENS

Wie soll es mit dem Flughafen weitergehen? Der Regierungsrat muss sich am Freitag in Bern erklären. Hoffentlich tut er das weniger mutlos als bisher.

Von Hans-Peter Bieri

Zürich. – Nächsten Freitag findet in Bern das zweite Koordinationsgespräch zum Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) statt. Die unmittelbar betroffenen Kantone Zürich, Aargau und Schaffhausen werden dort darlegen, welche der neunzehn technisch möglichen Betriebsvarianten für den Flughafen Zürich, die letzten Dezember vorgestellt wurden, ihrer Meinung nach weiterverfolgt werden sollten. Ein Entscheid wird bei einem dritten SIL-Koordinationsgespräch im Dezember oder kurz danach gefällt. Das letzte Wort hat der Bund.

Dem Druck erlegen
 
Von den neunzehn Betriebsvarianten basieren sieben auf dem heutigen Pistensystem, sechs verlangen eine Verlängerung der Westpiste an beiden Enden und der Piste 32 nach Norden, weitere sechs sehen Parallelpisten vor (siehe Grafik).
Die Varianten spielen sämtliche Möglichkeiten durch, diese drei Pistensysteme anzusteuern oder von ihnen wegzufliegen.
Natürlich wird mit der Variantenwahl auch über die Fluglärmverteilung entschieden.
Die Aufgabe, die sich dem Regierungsrat bei der Auswahl stellt, ist nicht zuletzt deshalb so schwierig, weil er sich einem unerhörten Druck ausgesetzt sieht. Die Gebietsnachbarn sind unwillig, die Gemeinden, die Betroffenenorganisationen, der Kantonsrat. Deutschland hat mit seinen Überflugsbeschränkungen Fakten gesetzt, im Herbst kommen die Plafonierungsinitiative und der Zürcher Lärmindex (ZFI plus) als Gegenvorschlag vors Volk, eine Volksinitiative für eine «faire» Verteilung der Flugbewegungen ist zu Stande gekommen. Dazu gibt es Behördeninitiativen für einen Plafond bei jährlich 320 000 Flugbewegungen und für einen Verzicht auf einen Pistenausbau, und auch der Kantonsrat hat sich schon in verschiedenster Hinsicht festgelegt.
Letzten Dezember hat sich der Regierungsrat dem Druck gebeugt. «Angesichts der politischen Situation im Kanton Zürich » sei der Regierungsrat der Auffassung, «dass sich die Auswahl der Betriebsvarianten am heutigen Pistensystem und am heutigen Flugbetrieb orientieren soll», erklärte Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer (SVP) bei der Präsentation der Betriebsvarianten.
Gleichzeitig wies der Regierungsrat Fuhrer allerdings auch an, die Vertreter der Bezirke zu befragen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Bevölkerung wären für Pistenveränderungen offen, ein Drittel ist dagegen. Es versteht sich, dass für Pistenveränderungen jene Bezirke votierten, die keinen Fluglärm zu befürchten haben, dagegen die Betroffenen.
Wie immer man den Stellenwert dieser Befragung einschätzen will: Der Regierungsrat wird so oder so nochmals über seine SIL-Position debattieren. Das legt auch seine neue Zusammensetzung nahe.
Immerhin wurden im Frühling drei seiner sieben Mitglieder ausgetauscht, und auch die parteipolitischen Kräfteverhältnisse haben sich geändert.

Fünf Punkte

Der Regierungsrat sollte bei dieser Debatte fünf Punkte im Auge behalten:

  • Betroffenheit. Bisher haben sich vor allem jene zu Wort gemeldet, die vom Fluglärm angeblich oder wirklich betroffen sind, sowie deren Vertreter in Interessen- organisationen und Behörden. Aber in einer Demokratie geben nicht die Betroffenen den Ausschlag, sondern alle Bürger. Die Bezirksumfrage gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass Pistenveränderungen nicht einfach tabu sind.
     
  • Lärm. Die Festlegung auf das bestehende Pistensystem widerspiegelte allenfalls das politische Klima, nicht aber die Fakten. Von den Varianten mit dem bisherigen Pistensystem hat nur eine einen günstigen Wert, was die Lärmbetroffenheit angeht (siehe Grafik), und das ist die An- und Abflugvariante, wie sie 2000 vor der Einführung der deutschen Anflugbeschränkungen bestand. Es wäre ein Wunder, wenn diese Variante je wieder Realität würde. Dagegen schneiden fünf von sechs Varianten mit Pistenverlängerungen beim Lärm besser ab als jede realistische Variante auf dem heutigen Pistensystem – inklusive der heutigen. Und dies, obschon sie deutlich mehr Flugbewegungen zulassen. Bei den beiden Varianten mit Hauptanflug von Osten ist die Lärmbetroffenheit sogar gleich günstig wie im Jahr 2000.
     
  • Entscheidinstanz. Was immer in den SIL geschrieben wird, keine Piste wird deshalb auch nur um einen Meter verlängert oder verschoben. Veränderungen sind vorläufig schon deshalb nicht zu erwarten, weil das heutige Pistensystem den Bedürfnissen des Flughafens noch für längere Zeit genügt. Und sollte eine Pistenveränderung je zur Diskussion stehen, wird das Volk das letzte Wort haben. Es ist die Bewilligungsinstanz.
     
  • Vorbeugung. Was der SIL wirklich bewirkt, das ist das Offenhalten von Optionen. Der SIL ist ein Planungsinstrument. Wenn in ihm Pistenverlängerungen oder eine Parallelpiste vorgesehen sind, muss die Raumplanung deren virtuelle An- und Abflugschneisen vor Überbauung bewahren. Mit anderen Worten: Der SIL sorgt dafür, dass bei künftigen Pistenveränderungen schon gar keine neuen Betroffenen entstehen können.
     
  • Zeitraum. Der SIL hat einen Planungshorizont von dreissig Jahren. Heutzutage ist das eine Ewigkeit. Wohl niemand würde behaupten, er hätte 1977 vorausgesehen, wie die Welt und die Luftfahrt heute aussehen. Es ist offen, wie sich die Luftfahrt in den nächsten dreissig Jahren entwickelt, die Flugzeugtechnik, der Fluglärm. Auch deswegen ist es vernünftig, sich möglichst viele Optionen offen zu halten.
    Letzten Dezember standen die Wahlen ebenso bevor wie die Debatte über Plafonierungsinitiative und Zürcher Lärmindex im Kantonsrat. Der Regierungsrat kuschte aus Angst. Inzwischen sind die Wahlen vorbei, der Bund hat die Plafonierungsinitiative für nicht umsetzbar erklärt, der Druck hat etwas nachgelassen. Die Angststarre sollte vorbei sein.
    Vielleicht hilft es, wenn die Regierung sich auf ihre vornehmste Pflicht besinnt: die Vorausschau. Es ist ihre Aufgabe, dem Kanton Entwicklungsmöglichkeiten freizuhalten. Genau das und nicht mehr tut sie, wenn sie sich am Freitag korrigiert und sich für eine Variante mit Pistenveränderung und Ostanflug einsetzt. Das sollte ihr angesichts der Vorteile leicht fallen: Die Zahl der Lärmbetroffenen ist bei diesen Varianten am kleinsten, der Entwicklungsspielraum für den Flughafen am grössten.

Tages-Anzeiger, 02.07.2007, Seite 13

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