Schweizer Luftfahrt in deutscher Hand (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Ab Sonntag gehört die Swiss zu 100 Prozent der Lufthansa. Damit ist sie definitiv Teil der zweitgrössten europäischen Fluggesellschaft und Mitglied der stärksten Allianz im globalen Luftverkehr (Star Alliance).  Die Swiss wurde erst in deutschen Händen wettbewerbsfähig. Sie gewährleistet, zusammen mit den wieder erstarkten Landesflughäfen, die Anbindung der Schweiz an die globalen Zentren. Medien und Politiker, denen die Swiss vor zwei Jahren keinen Pfifferling mehr wert schien, mäkeln nun, die Swiss habe sich der Lufthansa zu früh, in jedem Fall zu billig an den Hals geworfen. Im kurzlebigen Geschäft des Luftverkehrs darf man das politisch und wirtschaftlich trübe Startkapitel der «Swiss-Saga» nicht einfach ausblenden.

ASCHENPUTTEL

2005 hatte die Swiss ihr Startkapital verbrannt, ohne Aussicht auf kostendeckenden Betrieb. Sie musste unter politischem Druck ein zu grosses Netz mit zu vielen Piloten bedienen und litt unter Kulturkämpfen von Ex-Swissair- und Ex-Crossair-Leuten. Auch die Hausse der Weltkonjunktur war damals in ihrer Stärke nicht absehbar. Die Swiss war in der Schweiz verhasst und verhöhnt, weil sie trotz oder vielmehr wegen der Zuschüsse aus Staatskasse und Wirtschaft nie die Flughöhe der früheren Swissair erreichte.

Die Lufthansa nahm sich des Aschenputtels Swiss gewiss nicht aus Nächstenliebe an, sie wollte unter anderem verhindern, dass vor ihren Toren ein Verbund von British Airways und Iberia in Kontinentaleuropa Fuss fassen konnte. Aber Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber riskierte mit dem Engagement auch einen erheblichen Verlust an Geld und Reputation, denn die Liste fehlgeschlagener Übernahmen ist im Luftverkehr länger als jene der gelungenen.

Die Frage, ob und wie die Swiss selbständig überlebt hätte, ist müssig. Ein Blick auf AUA oder SAS zeigt immerhin, dass diese Fluggesellschaften heute mit jenen Problemen kämpfen, die die Swiss gestern plagten: Sparpakete, Kapitalschnitt, Einstellung von Langstrecken, Verkauf von Assets, kurz: die Swiss fliegt demnächst dorthin (Schanghai, Delhi), von wo sich diese Einzelkämpfer zurückziehen mussten. Und wohin es führt, wenn sich eine Fluggesellschaft in der Krise zu teuer und mit nationalistischen Auflagen verkaufen will, sieht man bei Alitalia, wo sich das Feld der Bieter bedrohlich lichtet. Mittelfristig könnte die Schweiz sogar vom frühen Scheitern der eigenständigen Swiss profitieren, weil diese ihren Platz in einem multinationalen Hub- System in Europa schon hat, bevor weitere kleinere und mittlere Fluggesellschaften zum gleichen Schritt gezwungen werden.

«DEUTSCHER» FLUGHAFEN ZÜRICH

Mit der Integration der Swiss in die Lufthansa sind die Folgen des Zusammenbruchs der SAirGroup überwunden. Man hätte dies allerdings ohne staatlich subventionierte Gründung einer neuen Fluggesellschaft wohl rascher und vor allem billiger erreicht. Die Politik muss sich nach ihren Kriseninterventionen wieder auf die Rahmenbedingungen für das System Luftverkehr beschränken. Dort bleibt ihr noch mehr als genug zu tun. So sind die drei grössten Airlines auf dem Flughafen Zürich nun allesamt in deutschem Besitz (Swiss, Lufthansa, Air Berlin). Just dieser Nachbar zwingt dem «deutschen» Flughafen Zürich aber ökonomisch und ökologisch immer noch absurde Sperrzeiten auf.

Die Unternehmen Lufthansa und Swiss haben ihre Versprechen, die sie zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise abgegeben haben, weitgehend eingelöst, nicht so die Politik: Ein ausgewogenes Anflugregime für den Flughafen Zürich fehlt nach wie vor, obwohl sich Lufthansa-Chef Mayrhuber bei der deutschen Regierung für eine faire Lösung stark macht. Selbst Deutschland kann nicht daran interessiert sein, dass sich das Zürchervolk aus Ärger über die deutsche Anflugverordnung im November für die Plafonierungsinitiative ausspricht und damit das Drehkreuz in Zürich stranguliert. Den Schaden hätten Wirtschaft und Beschäftigte in der Schweiz und im nahen Süddeutschland sowie die grossen deutschen Fluggesellschaften in Zürich.

Die Schweiz ist beim Flughafen Zürich auch dort, wo sie es selber in der Hand hat, nicht weitergekommen. So züchtet der Kanton Zürich die künftigen Gegner des Flughafens selber heran, weil die Gemeinden um den Flughafen bauen lassen, was das Zeug hält. Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse kritisiert in einem Aufsatz die Widersprüche zwischen der nationalen Infrastruktur eines Flughafens und dem föderalen Geflecht von Kompetenzen. Während sich bei den übrigen nationalen Infrastrukturen (Bahn, Strasse) die Kompetenzen immer mehr Richtung Bund verschoben haben oder von Anfang an dort waren (Kernkraftwerke, Telekommunikation), leiden die Landesflughäfen wegen der widersprüchlichen Verteilung der Kompetenzen immer mehr unter politischen «Konflikten im institutionellen Niemandsland».

KULTURKÄMPFE BEI SKYGUIDE

Selbst dort, wo der Bund allein zuständig ist, wie bei der nationalen Flugsicherung, liegt viel im Argen. Die angeschlagene Skyguide bekommt nach einem Interregnum von zehn Monaten mit dem Swiss-Manager Daniel Weder endlich einen neuen Chef. Dieses «Berner» Tempo des Skyguide-Verwaltungsrats befremdet, steckt doch die Flugsicherung seit fünf Jahren personell und technisch in der Krise. Man traut dem neuen Skyguide-Chef zwar viel zu, doch wäre er nicht der erste Airline-Manager, der sich an den zementierten Strukturen der Flugsicherung die Zähne ausbeisst. Schon Swissair-Mann Paul Maximilian Müller scheiterte als Chef der damaligen Swisscontrol beim Versuch, mit Frankreich ein Centre commun einzurichten. Seither fehlt es in der Flugsicherung immer wieder an Personal. Fünf Gewerkschaften wachen für 1400 Mitarbeiter via strategische Mitsprache bis in den Verwaltungsrat hinein über diese chronische Mangelwirtschaft mit Folgen für die Kunden.

Während Europa bis 2020 einen einheitlichen Luftraum für die Flugsicherung («Single European Sky») schaffen will, muss sich Skyguide zuerst einmal um einen «Single Swiss Sky» bemühen, weil die Kontrollzentren in Zürich und Genf unterschiedliche Kulturen und Systeme pflegen. So wie es sich bei der Swiss ausgezahlt hat, im Streit mit den (streikenden) Regionalpiloten nicht nachzugeben, braucht es auch bei Skyguide einen Kraftakt, um diese Kulturen zusammenzuführen.

Es ist Skyguide 2006 gelungen, sich an zwei europäischen Projekten zur Kontrolle von zusammenhängenden Lufträumen zu beteiligen, mit Frankreich im Westen für einen französisch-schweizerischen Luftraumblock sowie mit Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg für einen zentraleuropäischen Block. Damit ist Skyguide keineswegs von der Aufgabe befreit, die personellen und systemischen Probleme im eigenen Haus zu lösen. Im liberalisierten Luftverkehr geraten nämlich nach den Fluggesellschaften und den Flughäfen auch die Flugsicherungen unter starken Wettbewerbsdruck. So bleibt die Zukunft der Skyguide offen, denn es führen in Zukunft nicht zwingend alle europäischen Luftstrassen über die Schweiz. Und es darf nicht zur Regel werden, dass Deutschland übernimmt, wenn die Schweiz aviatisch nicht mehr weiter weiss.

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) bescheinigte sich dieser Tage selbstbewusst: «Die schweizerische Zivilluftfahrt ist bereit für die Zukunft.» Das sieht man in der Branche nicht so rosig, und dies nicht bloss, weil sich der BAZL-Chef im August vor einem Strafgericht wegen Betrugsvorwürfen seines früheren Arbeitgebers zu verantworten hat. Die Unternehmen im zivilen Luftverkehr (Swiss, Unique, SR Technics u. a. m.) sind nach dem Zusammenbruch der SAirGroup wieder wettbewerbsfähig. Die Rahmenbedingungen für den Luftverkehr in der Schweiz sind es nicht, zu gross ist die Zahl der Verspätungen wegen der Flugsicherung, zu hoch sind die Fluggebühren und zu lang die Sperrzeiten im Hub Zürich.

NZZ, 30.06.2007