Wie aus Durchschnittsbürgern Demonstranten wurden (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Chronologie des «Schneiser» - Widerstands gegen Fluglärm und Südanflüge

Der «Verein Flugschneise Süd - Nein» kämpft seit fünf Jahren gegen den Fluglärm und die Südanflüge, die ihn verursachen. Präsident Thomas Morf erinnert sich an die Anfänge und erklärt, wie aus mittelständischen Einfamilienhausbesitzern gestandene Demonstranten wurden.

Die Vögel zwitschern, und eine Hummel brummt von einer Blüte zur anderen. In diesem ruhigen Wohnquartier in Pfaffhausen würde man kein Widerstandsnest vermuten. Hier aber logiert Thomas Morf, bis vor fünf Jahren ein unbekanntes Direktoriumsmitglied einer Grossbank und passionierter Tourist auf den Strassen Europas. Dann beantragte die Flughafen AG 2002 ein Betriebsreglement mit Südanflügen, und im Pfaffhauser Volg-Laden begann ein neuer Lebensabschnitt für Morf. Mit seinem Nachbar Urban Scherrer sammelte er dort Unterschriften für Einsprachen gegen die entsprechenden Änderungen am Flughafen-Betriebsreglement. Laptop, Drucker, Kuverts und Briefmarken hatten sie gleich mitgenommen, damit die Protestnoten möglichst schnell zum Empfänger gelangen mögen.

Gründung im Kindergarten

Einige Wochen später besammelte sich ein Grüppchen von 10 Leuten aus dem Dorf im Kindergarten und nahm den organisierten Kampf gegen Südanflüge auf. Es waren Leute aus dem gutbürgerlichen Mittelstand, Liegenschaftenbesitzer ohne Demonstrationserfahrung. Mobilisiert hatten sie die Sorge um ihre Lebensqualität und der feste Glaube, dass man sich im Rechtsstaat gegen angedrohte und als Unrecht empfundene Unbill zur Wehr setzen kann. «Wir sassen auf den kleinen Stühlchen», erinnert sich Morf, «verteilten die Chargen und suchten lange nach einem Namen.» Dieser sollte den Zweck ohne Umschweife wiedergeben: Der «Verein Flugschneise Süd - Nein» (VFSN) war geboren. Im August organisierte der Vorstand die erste öffentliche Veranstaltung. Statt der erwarteten 150 kamen 450 Leute in die Fällander Zwicky-Fabrik. Mit Hilfe der Akustikabteilung der Empa simulierte der VFSN die Lärmbelastung durch die Flugzeuge, wenn sie dereinst über ihre Dächer donnern würden. Die lautstarke Demonstration trug offenkundig zur Sensibilisierung bei. Innert Kürze hatte der Verein gegen 2000 Mitglieder.

Seine Simulation von Anfluggeräuschen setzte der VFSN später auch effektvoll im politischen Prozess ein. Anlässlich der zustimmenden regierungsrätlichen Stellungnahme zu Südanflügen im Mai 2003 dröhnten die Lautsprecher direkt vor dem Sitzungszimmer am Walcheturm. Der Lärm war so stark, dass der damalige Volkswirtschaftsdirektor Jeker sein Referat nur bruchstückweise abliefern konnte. Im Juli dann mobilisierte der Verein kraftvoll «gegen neue Flugrouten über dichtbesiedeltem Gebiet». Rund 8000 Personen - sie nannten sich mittlerweile eingängig «Schneiser» - demonstrierten in der Zürcher Innenstadt. Für die meisten der Teilnehmer war es die erste Demonstration in ihrem Leben.

Ein Grossteil der Teilnehmer trug Gelb, zumindest auf dem Kopf. Die VFSN-Gadgets waren von allem Anfang an in der einheitlichen Erkennungsfarbe gehalten. Vom Regenschirm über den Aufkleber bis zum T-Shirt ist für den bekennenden Südanflug-Gegner fast alles in Gelb und mit Logo erhältlich. Damit unterschieden sich die «Südschneiser» von ihren Kollegen im Osten des Flughafens. Diese kämpfen seit Jahren in Blau nicht minder engagiert gegen zusätzliche Anflüge auf die Westpiste des Flughafens.

Riesenwut und Unverständnis

Für Morf ist der Aufmarsch eine der eindrücklichsten Erinnerungen: «Tausende von Leuten zogen durch die Bahnhofstrasse, und keinem Baum wurde auch nur ein einziges Astchen abgebrochen», sagt er stolz. Trotzdem gelang es den Anwohnern im Süden des Flughafens nicht, die Südanflüge zu verhindern. Am 30. Oktober 2003 flogen unter gellenden Pfeifkonzerten der Demonstranten in der Flugschneise die ersten Maschinen von Süden auf Zürich zu. Die Reaktionen der Betroffenen auf die Einführung fasst Morf als «Mischung von Riesenwut und totalem Unverständnis» zusammen. Die «Schneiser» sahen und sehen durch die neue Anflugroute Umweltschutzgesetz und Richtplan verletzt. Dadurch, dass dies bis heute ungesühnt möglich sei, hätten viele Mitglieder den Glauben an den Rechtsstaat verloren, sagt Morf; dies sei (neben den Anflügen) die grosse Tragik. Zwei-, dreimal habe ihm das Gewaltpotenzial der militanten Gegner schon Angst gemacht, sagt er. Dem VFSN - und das sei eine der Stärken des Vereins - sei es aber gelungen, diese Aggressionen zu kanalisieren.

Trotzdem kam es zwei, drei Mal zu Konflikten mit dem Rechtsstaat, wobei sich die Vorwürfe - wie Morf bemerkt - allesamt in Luft aufgelöst hätten. Das grösste Aufsehen erregten zu Beginn des Jahres 2004 drei «Schneiser», welche mit grossen Taschenlampen aus dem Supermarkt versuchten, die Piloten landender Jets zu blenden. Die Aktion führte zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Immer wieder gab es auch diffuse Drohungen mit Raketenbeschuss und dem Steigenlassen von Ballonen in die Anflugschneise. Vor dem 1. August 2004 rief der Verein selber indirekt dazu auf, die Flugzeuge mit Feuerwerk einzudecken. Effektiv in die Tat umgesetzt wurde aber glücklicherweise keine dieser Drohungen. Daneben gab es regelmässige verbale Entgleisungen in diversen Internet-Foren. Morf erklärt, das sei halt die Kehrseite der Medaille. Er habe immer versucht, mässigend auf die Heisssporne einzuwirken. Zuletzt waren die Südanfluggegner mit seiner Beteiligung im Norden des Kantons gesetzeswidrig aufgetreten. Sie sperrten am 1000. Tag der Südanflüge während einer Stunde die Rheinbrücke an der deutsch-schweizerischen Grenze in Kaiserstuhl.

Nach gut drei Jahren Südanflug mit vielen Demonstrationen, Einsprachen und Interventionen ist der Widerstand des VFSN medial nicht mehr derart präsent wie zu Beginn, und den Südanflug gibt es immer noch. Trotzdem betrachtet Morf die Arbeit im Rückblick als Erfolg. Der Widerstandswille sei bei einem guten Teil der Mitglieder ungebrochen. Derzeit kämpft man vor allem für eine möglichst schnelle Einführung des gekröpften Nordanflugs, organisiert Diskussionen und hält immer noch einmal monatlich eine Mahnwache am Flughafen ab. Für Morf selber hat sich das Leben «um 180 Grad» verändert. Er hat seine Stelle vor drei Jahren aus Zeitgründen gekündigt, die Kaderstelle und der Job als medienpräsenter Robin Hood der «Schneiser» haben sich nicht mehr unter einen Hut bringen lassen. Er bereut es nicht: «Ich habe in fünf Jahren so viel erlebt wie andere in einem halben Leben nicht.»

Adrian Krebs


Mit ihren lautstarken Aktionen und Demonstrationen hoffen lärmgeplagte Zürcher «Schneiser», ein offenes Ohr in der Politik zu erlangen.
CHRISTIAN MATHIS

NZZ, 15.06.2007 - Dossier