«Tag gegen den Lärm» im Zeichen der Gesundheit (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Zwei Drittel der Bevölkerung fühlen sich durch Lärm gestört

Die Menschen sind gegenüber Lärm empfindlicher geworden. Dies ruft nach einer Anpassung der gesetzlichen Lärmgrenzwerte. Doch schon heute ist es schwierig, die geltenden Vorschriften durchzusetzen.

lde. Das Gehör des Menschen ist auf ruhige Verhältnisse ohne Autolärm ausgerichtet. Hören war für unsere Urahnen wichtig, um Gefahren frühzeitig zu erkennen. Ein lautes Geräusch versetzte den Menschen in Fluchtbereitschaft, der Körper schüttete Stresshormone aus, der Blutdruck stieg. Heute ist das nicht anders. Zu viel Lärm gefährdet jedoch die Gesundheit. Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Depressionen und Aggressionen können lärmbedingt sein. Eine Studie des Bundesamtes für Raumentwicklung schätzt die gesundheitlichen Kosten des Lärms für das Jahr 2000 auf über 120 Millionen Franken, wobei der Fluglärm darin nicht enthalten ist. Zu den negativen Auswirkungen von Lärm zählt laut der Weltgesundheitsorganisation WHO auch eine Verminderung der Fähigkeit, Stress zu verarbeiten - eine Fähigkeit, die in der hektischen Arbeitswelt von heute zentral ist.

Überprüfung der Grenzwerte gefordert

Der Verkehr ist in der Schweiz der mit Abstand grösste Lärmverursacher. Über 500 000 Menschen seien von übermässigem Strassenlärm betroffen, sagt Urs Jörg, der Chef der Abteilung Lärmbekämpfung im Bundesamt für Umwelt, während der Schienenverkehr etwa 200 000 und der Luftverkehr rund 50 000 Menschen belästige. Berücksichtigt man die Lärmgrenzwerte, die in der 1986 erlassenen Lärmschutzverordnung aufgeführt sind, so ist laut der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung sogar rund 1 Million Menschen von Grenzwertüberschreitungen betroffen. Neue Studien zeigten, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung mehr oder weniger durch Lärm gestört fühlten. Da die heute geltenden Lärmgrenzwerte auf 25 Jahre alten Grundlagen beruhten, müssten diese überprüft werden, fordert die Kommission. Auch seien die geltenden Nachtruhezeiten zu überdenken. Der Wandel in der Arbeitswelt habe weiter dazu geführt, dass bis zu 30 Prozent der Erwerbstätigen gar nicht die Möglichkeit hätten, zwischen 22 und 6 Uhr zu schlafen.

Für Robert Hofmann, Präsident der Schweizerischen Liga gegen den Lärm, besteht das Problem unter anderem in einem Geburtsfehler der Lärmschutzverordnung. Diese behandle öffentliche Lärmquellen wie Strassen, Eisenbahnen und Flughäfen sehr pfleglich. Überwiege das öffentliche Interesse, so dürfe auch über den Alarmgrenzwert hinaus Lärm erzeugt werden. Als Ersatz müssten zwar Schutzmassnahmen realisiert werden, in der Regel Schallschutzfenster. Dies sei jedoch nur eine Notlösung. Die Reduktion des Lärms an der Quelle habe Priorität. Laut Hofmann ging man ursprünglich davon aus, dass als Folge der Lärmbekämpfung an der Quelle die Gesamtbelastung um mehrere Dezibel zurückgehe. Dies sei aber nicht geschehen. Im Gegenteil - infolge des gestiegenen Verkehrsaufkommens habe die Lärmbelastung in der Summe fast überall zugenommen.

Einen weiteren Grund für die schleppende Lärmsanierung sieht Hofmann im Umstand, dass an einem bestimmten Ort in der Regel nur eine Minderheit von übermässigem Lärm betroffen ist. Lärmprobleme treten lokal begrenzt entlang der Verkehrsachsen auf. Beim Fluglärm habe sich dies insofern geändert, als nun plötzlich ganze Gemeinden und Regionen mit dem Problem konfrontiert seien.

Einstellungssache

Die Lärmwirkungsforschung beschäftigt sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Lärms. Eine direkte Beziehung zwischen Lärm und Krankheiten ist wissenschaftlich schwer nachzuweisen. Als sehr wahrscheinlich gilt der Einfluss chronischer Lärmbelastung auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen wie etwa Bluthochdruck. Für Mark Brink vom Fachbereich Umweltergonomie der ETH Zürich hat Lärm eine starke psychologische Komponente. So ist beispielsweise aus zahlreichen Studien seit längerem bekannt, dass Fluglärm als belastender wahrgenommen wird als gleich lauter Strassen- oder Schienenlärm. Dies hängt womöglich mit den Einstellungen zu den unterschiedlichen Lärmquellen zusammen; im Fall von Zürich vielleicht auch mit der unsicheren Entwicklung des Betriebs des Flughafens.

Etwas Linderung beim Fluglärm könnte laut Brink erreicht werden, in dem auf die tageszeitlichen Empfindlichkeiten und Schlafgewohnheiten der Bevölkerung stärker Rücksicht genommen würde. Eine Verschiebung der Nachtruhe um eine Stunde nach hinten würde beispielsweise eine Stunde mehr Ruhe in den sensiblen Morgenstunden bewirken. Auch das Potenzial an technischen Verbesserungen ist noch nicht ausgeschöpft. Beim Strassenlärm gibt es laut Urs Jörg gute Ansätze bei den Strassenbelägen. Bei der Bahn ruhen die Hoffnungen auf verbesserten Bremsen sowie einem neuen Drehgestell für Güterwagen. Schwieriger sieht es bei den Flugzeugtriebwerken aus. Nach Ansicht von Hofmann liegen einige Dezibel wohl noch drin; die so erzielbare Lärmreduktion wäre vermutlich aber mit recht hohen Kosten verbunden.

NZZ, 25.04.2007