Fragwürdige Rechtsprechung zur Fluglärm-Entschädigung (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Zweifel an der Verfassungsmässigkeit der heutigen Praxis bei Liegenschafts-Wertverlusten

Fluglärm führt zu Wertverlusten bei Grundstücken. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen die Grundstückeigentümer diese Wertverluste zum grossen Teil selber tragen. Der Autor übt Kritik an dieser Rechtspraxis. Er bemängelt, dass die restriktiven Entschädigungskriterien gegen verfassungsmässige Grundsätze verstossen, insbesondere gegen das Verursacherprinzip und das Lasten-Gleichheits-Prinzip.

Von Kaspar Plüss*

Kürzlich hat die Eidgenössische Schätzungskommission in einem Pilotprozess entschieden, dass nur 3 von 18 Grundeigentümern in Opfikon eine Entschädigung für die Wertminderung ihrer Liegenschaften durch Fluglärm erhalten. Der Entscheid wird zurzeit vor Bundesgericht angefochten (NZZ 19. 12. 06). Die Entschädigungsfrage ist ein zentraler Aspekt der Fluglärmdiskussion. Trotzdem wird sie in der politischen Debatte um den Flughafen Zürich zurzeit kaum beachtet.

Strenge Entschädigungskriterien

Der Entscheid der Schätzungskommission beruht auf einer langjährigen Rechtsprechung, die auf ein Urteil des Bundesgerichts zum Autobahnlärm im Jahr 1968 zurückgeht. Die damals festgesetzten und noch heute gültigen drei Entschädigungsvoraussetzungen (Spezialität und Unvorhersehbarkeit der Immissionen sowie ein Wertverlust des Grundstücks von mehr als 10 Prozent) führen dazu, dass die Nachbarn von Strassen, Bahnen und Flughäfen weitgehend entschädigungslos bleiben, wenn sie lärmbedingte Werteinbussen erleiden. Beim Flughafen Zürich zeigt sich diese Diskrepanz besonders deutlich: Momentan rechnet man mit Entschädigungsansprüchen von 1 bis 1,5 Milliarden Franken, obwohl die Wertverluste für die Grundeigentümer ein Vielfaches davon betragen.

Interessant ist die Begründung des Bundesgerichts für die weitgehende Entschädigungslosigkeit der Grundeigentümer. Im Leitentscheid von 1968 argumentierte das Gericht wie folgt: Wenn eine Pflicht bestehen würde, alle Schäden auszugleichen, die der Betrieb von Verkehrsanlagen nach sich zieht, könnten diese Anlagen «in der Mehrzahl der Fälle» gar nicht mehr betrieben werden (BGE 94 I 286, 300). Im Bereich von Flughäfen geht das Bundesgericht also davon aus, dass der Flugbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, wenn die Grundeigentümer für sämtliche Wertverluste Entschädigungsansprüche geltend machen könnten. Diese Argumentation ist problematisch: Damit wird impliziert, dass der Luftverkehr nicht in der Lage ist, die verursachten Lärmkosten selber zu finanzieren. Angesichts der positiven volkswirtschaftlichen Effekte der Luftfahrt - im Fall des Flughafens Zürich sind es gemäss einer Studie von Infras jährlich 13 Milliarden Franken - muss aber eine Finanzierung der Lärmkosten durchaus möglich sein. Der Bundesrat hat im Konzeptteil des Sachplans zur Luftfahrt-Infrastruktur (SIL) sowie im Bericht zur Luftfahrtpolitik festgehalten, dass sich die Luftverkehrsmobilität nur insoweit rechtfertigt, als eine positive Wertschöpfungsbilanz resultiert. Folglich kann es nicht sein, dass der Luftverkehr seine verursachten Lärmkosten nur durch eine Auslagerung an die Grundeigentümer finanzieren kann.

Problematische Argumentation

Die Argumentation des Bundesgerichts ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch. Zum einen geht die Bundesverfassung vom Prinzip der Lastengleichheit aus: Führt eine Staatsaufgabe (zum Beispiel die Ermöglichung von Luftfahrt) zu ungleichen Lastenverteilungen, ohne dass dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre, so müssen die Lasten mittels Entschädigungszahlungen ausgeglichen werden (Art. 26 Abs. 2 BV). Zum anderen statuiert die Verfassung das Verursacherprinzip. Dieses Prinzip wird nicht nur explizit im Zusammenhang mit dem Umweltschutz erwähnt (Art. 74 Abs. 2 BV), sondern kann auch aus dem Ziel der wirtschaftlichen Wohlfahrt (Art. 94 Abs. 2 BV) abgeleitet werden. Seitens der Ökonomie ist heute nämlich anerkannt, dass die externen Kosten (aufgrund von Lärm) beim Verursacher internalisiert werden sollen, um die grösstmögliche wirtschaftliche Effizienz zu erreichen. Im Fall des Luftverkehrs kann eine umfassende Anwendung des Verursacherprinzips zwar zu Problemen führen - etwa wenn die hohen Kosten zur Konkurrenz-Unfähigkeit eines Flughafens führen. Dies darf aber nicht zur Folge haben, dass die Lärmverursacher die Kosten an die Grundeigentümer auslagern dürfen. Vielmehr muss in solchen Fällen die Allgemeinheit - soweit sie dazu bereit ist - die Entschädigungskosten übernehmen, was aufgrund der positiven Wertschöpfungsbilanz der Luftfahrt ohne weiteres möglich sein muss.

Umfassenderer Lastenausgleich

Hält man sich an die verfassungsmässigen Grundsätze des Verursacherprinzips und der Lastengleichheit, so muss die heutige Rechtsprechung in Richtung eines Ausgleichs der tatsächlichen lärmbedingten Wertverluste korrigiert werden. Eine solche Korrektur hätte nicht nur positive Folgen im Zusammenhang mit der volkswirtschaftlichen Effizienz der Luftfahrt, sondern auch in den Bereichen Raumplanung und Lärmschutz. Die Konflikte zwischen den gegenläufigen Interessen der Wirtschaft und der Anwohner würden aufgrund der Kostenwahrheit bereits in der Planungsphase entschärft, und die Akzeptanz des Flughafens in der Bevölkerung würde erhöht. Was das heutige Anflugregime des Flughafens Zürich betrifft, ist NZZ-Wirtschaftschef Gerhard Schwarz beizupflichten. Er schrieb: «Müssten marktgerechte Kompensationszahlungen geleistet werden, würde die Verteilung des Fluglärms rasch sowohl gerechter als auch effizienter.»

* Der Autor schreibt zurzeit eine juristische Dissertation mit dem Titel «Öffentliche Interessen im Zusammenhang mit dem Flughafenbetrieb».

NZZ, 11.04.2007


siehe auch:
Zürcher Regierung bekämpft neue Regeln für Fluglärm-Entschädigung (NZZaS)