Viel Lärm um den Fluglärm (FAZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Flughafen Zürich ist zu einem deutsch-schweizerischen Zankapfel geworden / Von Jürgen Dunsch

ZÜRICH, im April. „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, heißt es schon bei Wilhelm Busch. Was für die Musik gilt, kann sich bei anderen Schallquellen rasch zur Qual auswachsen. Fluglärm steht dabei an vorderster Stelle. Wenn dieser darüber hinaus in einem Nachbarland seine Ursache hat, ist für viele das Maß voll. „Beim Flughafen Zürich ist es vorrangig ein Schweizer Problem, wie die Lärmlasten verteilt werden“, sagt dann zum Beispiel Tilman Bollacher, der Landrat des deutschen Landkreises Waldshut nördlich der Rheingrenze. Seit 2003 kocht der deutsch-schweizerische Lärmstreit immer wieder hoch. Das Wachstum des Flugverkehrs in Europa spricht sogar für eine weitere Verschärfung.

Wer Zürich-Kloten aus den beiden Hauptrichtungen anfliegt, erkennt schnell das Problem. Die Südroute entlang des Zürichsees ist hügelig und vor allem auf den letzten Kilometern vor der Landung dicht besiedelt. Die Nordroute präsentiert sich einfacher und aufgelockerter, führt aber über deutsches Gebiet – mit deutlich hörbaren, aber noch erträglichen Lärmschleifen von bis zu 50 Dezibel. Sie trifft rund 750 Personen, verglichen mit 210000 auf Schweizer Gebiet. Gleichwohl gibt sich der Landrat hart: „Dieses Rechenexempel geht davon aus, dass Lärm unter 50 Dezibel vernachlässigbar ist. Das ist nicht akzeptabel und nicht richtig.“ In Zürich-Kloten besteht daneben eine kürzere Querspange, die ebenfalls genutzt wird, aber eine andere Piste durchschneidet. Es sind in erster Linie die Landungen, die über deutsches Gebiet führen. Bei den Starts bleiben die Schweizer weitgehend auf ihrem Territorium.

Am Anfang stand ein Systemfehler. Der Zürcher Flughafen wurde so gebaut, dass er die Nutzung deutschen Hoheitsgebietes einschloss. Im Jahr 2000 kündigte Deutschland die damals geltende Vereinbarung auf. Ein Jahr später einigten sich beide Länder auf einen Staatsvertrag. Das Schweizer Parlament lehnte diesen 2003 jedoch ab, der Nachbar reagierte mit einseitigen Maßnahmen. Seitdem hängt der Haussegen am Rhein schief. Vor sieben Uhr morgens und nach 21 Uhr am Abend geht über deutschem Gebiet nichts mehr; an Wochenenden lauten die Zeitgrenzen sogar neun Uhr und 20 Uhr. Die Schweizer behelfen sich mit den aufwendigeren Südanflügen, die für die Luftfahrtgesellschaften mit größerem Kerosinverbrauch und höheren Kosten verbunden sind. Zugleich haben die Politiker des Kantons Zürich, der mit einem Drittel am Flughafenbetreiber Unique beteiligt ist, ein Auge auf ihre Wählerklientel, besonders jetzt vor den Wahlen zum Regionalparlament.

Immer noch fliegen rund 80 Prozent der täglich 350 Flugzeuge von Norden her den Flughafen an. Gleichwohl herrscht Hochbetrieb in der neu eingerichteten Koordinationszentrale des Flughafens, in der 16 Dienststellen und Behörden die Flugpläne kurzfristig zu optimieren versuchen. Das wird auf Dauer nicht gelingen. 267 000 An- und Abflüge zählte Unique 2005, im Jahr 2020 sollen es 400000 und 2030 sogar 450000 sein. Das bringt die Schweizer unter Druck, immerhin ist Zürich ihr Tor zur Welt. Gegenüber den aus ihrer Sicht unwilligen Deutschen verweisen sie auf ihre Belastungen als Transitland im Straßen- und Bahnverkehr, wo der neue Lötschberg-Tunnel vor der Eröffnung steht und der Gotthard- Basistunnel ein Jahrhundertwerk wird. Sie deuten finanzielle Angebote für die betroffene deutsche Bevölkerung an und betonen die Bedeutung des Zürcher Flughafens auch für Deutschland. Grob gerechnet, sollen acht Prozent der Fluggäste aus dem Nachbarland stammen. Lieber allerdings lässt sich Unique-Sprecher Jürg Suter auf folgende Aussage festlegen: „Jeder vierte Flug hat mit Deutschland zu tun.“ Eine wichtige Rolle spielt dabei die nationale Fluggesellschaft Swiss, die inzwischen eine Tochtergesellschaft der Lufthansa ist.

Dessen ungeachtet hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt in Bern schon einmal 19 Betriebsvarianten für den Flughafen erarbeitet. Die Verkehrsminister beider Länder haben zudem 2006 eine Arbeitsgruppe zur Lösung des Fluglärmstreits eingerichtet. Schon jetzt würden auf deutschem Gebiet die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten, meint der Schweizer Delegationsleiter Raymond Cron. Es seien viele Details zu regeln, und man stehe noch am Anfang, sagt Michael Martens, der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums in Berlin. Es sieht nicht danach aus, als gebe es für den Flughafendisput eine schnelle Lösung.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2007, Seite 9