Differenzierungen (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Von Hans-Peter Bieri
 
Der Bürger kratzt sich am Kopf. Er hat die Plafonierungsinitiative unterschrieben und hoffte, damit Klarheit zu schaffen: höchstens 250 000 Flugbewegungen und mindestens neun Stunden Nachtruhe in Kloten. Ein unmissverständlicher Auftrag.
Verkehrsminister Moritz Leuenberger schaffte letzte Woche ebenfalls Klarheit: Der Kanton kann die Initiative nur über eine Änderung des Flughafenbetriebsreglements erfüllen, aber in der Flughafen AG hat er keine Mehrheit. Und der Bund würde ein entsprechendes Gesuch nicht bewilligen.
Auch das eine unmissverständliche Aussage. Nur gibt es in der Politik nichts Unmissverständliches. Stattdessen gibt es Differenzierungen. Leuenberger erklärte im gleichen Atemzug, ein Ja zur Initiative sei für Bund und Kanton selbstverständlich nicht nichts, sondern ein Auftrag, Lärmschutz und Sozialverträglichkeit stärker zu gewichten. Und die Initianten differenzierten umgehend, sie hätten eigentlich gar nicht auf das Betriebsreglement gezielt, sondern auf die Raumplanung.
Und alle Unmissverständlichkeit war wieder dahin.
Der Bürger kratzt sich am Kopf. Er hat eine Initiative unterstützt, die nicht so gemeint war, und erhält versprochen, was er nicht verlangt hat.
Wenn er noch genauer aufgepasst hat, kratzt er sich nicht nur am Kopf, sondern hat eine bombastische Migräne. Denn in der Raumplanung lassen sich weder Bewegungsbeschränkungen noch Nachtruhezeiten festlegen. Die Differenzierung der Initianten ist Nasenwasser. Umwelt- und Sozialverträglichkeit wiederum sind Ziele der nationalen (und der kantonalen) Flughafenpolitik wie die Nachfrageorientierung, und zwar gleichwertige Ziele. Nur müssen sie – eine weitere Differenzierung Leuenbergers – auf eine Weise erreicht werden, die die nationalen Interessen wahrt. Und diese verlangen einen Hub, schliessen also die Erfüllung der Initiative aus.
Die Katze beisst sich in den Schwanz. Die Initiative ist nicht bewilligungsfähig, doch sie hat Wirkung. Aber die Wirkung hat ihre Grenzen in der fehlenden Bewilligungsfähigkeit. Und der Bürger fragt sich einigermassen ratlos, was ein Ja zur Initiative bei Bund und Kanton denn noch zusätzlich auslösen soll, was der Druck der letzten Jahre nicht bewirkt hat, wenn Umwelt- und Sozialverträglichkeit ohnehin zu ihrer Politik gehören.
Differenzierungen als Weichspüler. In der Politik sind sie ein beliebtes Mittel, um unangenehme Fakten und Wahrheiten abzudämpfen.
Leuenberger, das muss man zugeben, hat ein Meisterstück der Verwedelung geliefert.
Noch selten ist ein Nein dicker in Watte gepackt und wortreicher schöngeredet worden.
Nur fühlt sich der Bürger nicht getröstet, sondern veräppelt. Von den Initianten, die ihm immer noch vorgaukeln, sie hätten ihm etwas zu geben.
Von Leuenberger, der als Versprechen anbietet, was ohnehin zu seiner Aufgabe gehört.
Der Bürger erträgt die Wahrheit. Aber die Politik behandelt ihn wie einen Verwirrten, um dessen schonendes Anhalten man gebeten hat.

Tages-Anzeiger, 28.03.2007, Seite 15