«Man fliegt statt von Norden eben von Süden an» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Waldshuter Landrat versteht unter einer fairen Verteilung des Fluglärms weniger Anflüge über dem Schwarzwald. Davon weicht er kein Jota ab.Mit Tilman Bollacher sprach Edgar Schuler

Was war Ihre erste Reaktion auf den offenen Brief von Stadtpräsident Ledergerber?
Ich war sehr überrascht. Und beim nä?heren Lesen auch zunehmend verärgert. Vor allem weil ich erwarten würde, dass zunächst das persönliche Gespräch gesucht wird, wenn es Dinge zu bereden gibt.

Sie haben noch nie mit Elmar Ledergerber persönlich gesprochen?
Ich habe ihn erst einmal getroffen, aber das war noch, bevor ich Landrat wurde.

Vom Inhalt her kann Sie der Brief nicht überrascht haben. Er listet bekannte Schweizer Positionen auf.
Inhaltlich hat er mich überhaupt nicht überrascht. Das ist aber auch das Hauptproblem in dieser Auseinandersetzung: Ich erwarte, dass von der Schweizer Seite ein Lösungsvorschlag kommt, über den wir dann diskutieren können.

Wie müsste denn ein Lösungsvorschlag aus der Schweiz aussehen?
Die Schweiz soll darlegen, was sie mit dem Flughafen Zürich vorhat: Wachstum, Kapazität, Bewegungszahlen. Und dann soll uns die Schweiz sagen, wie sie unter Berücksichtigung unserer deutschen Position den Flughafenbetrieb gestalten will.

Sie sagen, dass die Bevölkerung im Südschwarzwald 80 Prozent der Lasten aus dem Anflug tragen. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?
Nirgendwo in der Schweiz in einer Entfernung von 15 bis 50 Kilometern rund um den Flughafen gibt es jährlich 100 000 niedrig fliegende Maschinen, die ein Gebiet grossflächig verlärmen.

Die Zahlen sagen etwas anderes: Eine Fluglärmbelastung von 50 Dezibel haben in der Schweiz 210 000 Personen zu ertragen. In Deutschland nur 750.
Dieses Rechenexempel geht davon aus, dass Lärm unter 50 Dezibel vernachlässigbar ist. Das ist nicht akzeptabel und nicht richtig. Überdies handelt es sich um einen Schweizer Flughafen. Deutschland damit zu belasten, ist nicht fair.

Wie würden Sie die Belastung definieren?
Es geht nicht nur um mathematisch richtige Werte. Der Südschwarzwald ist eine ländliche, vom Tourismus abhängige Gegend. Da sind 300 bis 400 Anflüge täglich eine grosse Belastung, und zwar ganz unabhängig davon, ob der Pegel bei 30, 40 oder 50 Dezibel liegt.

Sie sagen es selbst: Der Südschwarzwald ist eine ländliche Gegend und schwach besiedelt. Auf Grund der deutschen Anflugverordnung erfolgen die Flüge in der Schweiz über dicht besiedelte Gebiete.
Dazu drei Gesichtspunkte: Niemand, der in unmittelbarer Nähe eines Flughafens wohnt, kann erwarten, dass es dort keinen Fluglärm gibt. Der Osten des Flughafens ist – mit Ausnahme der Stadt Kloten – mindestens ebenso dünn, wenn nicht dünner besiedelt wie der süddeutsche Raum. Das zeigen die Karten aus der Zürcher Richtplanung. Und drittens geht es hier um einen Schweizer Flughafen. Damit ist es vorrangig ein Schweizer Problem, wie die Lärmlasten verteilt werden.

Was fordern Sie für Ihren Landkreis?
Wir haben Positionen. Forderungen erhebt die Schweiz. Ich möchte zunächst betonen, dass wir bereit sind, einen Teil der Lasten zu tragen. Es ist mir wichtig, dass dieser Punkt in der Schweiz gehört wird.

Unter welchen Bedingungen sind Sie dazu bereit?
Wir wollen eine faire Verteilung der Lasten. Dazu gehört die Unantastbarkeit der heute gültigen Sperrzeiten. Sie sind derzeit unser einziger Schutz. Wir sind bereit, die notwendigen Anflüge über deutschem Gebiet, maximal aber 80 000, zu tragen. Drittens kommt für uns der gekröpfte Nordanflug überhaupt nicht in Frage. Und viertens darf die Fluglärmfrage nicht im Sinne einer Paketlösung mit anderen Problemen verknüpft werden.

Was bedeutet für Sie fair?
Es kann nicht sein, dass zwei Anflugrichtungen in der Schweiz, nämlich der Osten und der Süden, auf unsere Kosten von Anflügen verschont bleiben.

Fair bedeutet also Fluglärmverteilung in alle Richtungen.
Mehr als fair ist es, wenn wir als Deutsche anbieten, einen Teil der Lasten eines ausländischen Flughafens zu tragen, an dessen Planung und Ausbau wir in keiner Weise beteiligt waren und von dem die Wertschöpfung zum weitaus überwiegenden Teil in der Schweiz stattfindet und nicht bei uns. 80 000 Anflüge sind weit mehr als die Hälfte der Anflüge auf Kloten, und das ist sogar mehr, als man fairerweise von uns verlangen kann.

Warum wehren Sie sich auch gegen den gekröpften Nordanflug, obwohl er deutsches Gebiet gar nicht tangiert?
Der gekröpfte Nordanflug kann nur sicher geflogen werden, wenn er sehr nahe an deutsches Gebiet heran geführt wird – mit Lärmfolgen für uns. Er würde zwischen 6 und 7 Uhr morgens geflogen, just zu der Zeit, in der wir durch die Sperrzeiten der Verordnung geschützt wären.

Laut Elmar Ledergerber gefährden Sie die Wirtschaftlichkeit des Flughafens.
Die Behauptung, dass Anflugbeschränkungen über Deutschland den Flughafen in seiner Kapazität und damit in seiner Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, wird durch ständige Wiederholung auch nicht wahr. Der Flugbetrieb ist in keiner Weise beeinträchtigt: Man fliegt statt von Norden eben von Süden an.

In der Schweiz ist das eben doch ein Problem: Es sind sehr viele Personen dadurch beeinträchtigt.
In der Vergangenheit wurden rund um den Flughafen und seine Entwicklung Fehler gemacht; das wird ja auch in der Schweiz eingeräumt. Die Schweizer Seite versucht nun, den Weg des vermeintlich geringsten Widerstands zu nehmen und vermutet den in Deutschland. Die Schweiz will auf unsere Kosten die Lasten für die eigenen Einwohner gering halten.

Ihre Forderungen gehen doch weit darüber hinaus, was Sie erreichen könnten, wenn es sich nicht um einen Schweizer, sondern einen deutschen Flughafen handeln würde.
Nein, im Gegenteil: Im Zuge der Planung von Flughäfen werden bei uns alle betroffenen Regionen in den Planungsprozess einbezogen. Jeder hat die Möglichkeit, sich zu wehren, insbesondere auf dem Rechtsweg. Dieses Verfahren hat für die deutsche Seite beim Flughafen Zürich bis heute nie stattgefunden. Es gab nie eine Abwägung unserer Interessen gegenüber denjenigen des Flughafens Zürich.

Glauben Sie ernsthaft, dass Sie die Anflugbeschränkungen bei einem deutschen Flughafen durchsetzen könnten?
Ich bin überzeugt, dass es Regelungen für eine faire Verteilung geben würde, wenn Zürich ein deutscher Flughafen wäre.

Wenn Sie selber reisen, welchen Flughafen benützen Sie?
Ich fliege von Basel, Stuttgart und Zürich. Den Flughafen Zürich habe ich bisher vorwiegend benützt, wenn es um Fluglärmfragen ging und ich dafür nach Berlin oder Bonn reisen musste.

Tagers-Anzeiger, 22.03.2007, Seite 19


Ledergerber und Bollacher heute live

Auf Einladung des «Tages-Anzeigers » und der «Stuttgarter Zeitung» treffen sich Tilman Bollacher und Zürichs Stadtpräsident Elmar Ledergerber erstmals zu einem öffentlichen Streitgespräch. Es findet statt heute Donnerstagabend um 19.30 Uhr im Kaufleutensaal, Pelikanplatz, Zürich. Geleitet wird es durch Wolfgang Messner von der «Stuttgarter Zeitung» und TA-Chefredaktor Peter Hartmeier. (ese)


siehe auch:
Zürich und Deutschland im Clinch (TA)
Das Fluglärm-Duell (TA)
«Sie betreiben Selbstverstümmelung» TA
Bilateraler Fluglärmstreit (Leserbriefe TA)