Schweizer Selbstzerfleischung (TA)

Publiziert von VFSNinfo am

Von Hans-Peter Bieri

Eigentlich müsste man das Inserat einrahmen und an die Wand hängen. Elmar Ledergerber hat dem baden- württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und den «lieben Nachbarinnen und Nachbarn im südlichen Schwarzwald» in einem offenen Brief etwas Nachhilfeunterricht in den Realien gegeben: dass der Fluglärm nicht ganz so einseitig zu ihren Ungunsten verteilt ist und dass die Vorteile des Flughafens auch nicht nur auf schweizerischer Seite liegen. Ein sachlicher, ruhiger, ehrlicher Brief – auch mit den Hinweisen auf die hiesigen Scharfmacher und die von ihnen geforderten Gegenmassnahmen. Die SVP fordert solches seit Jahren.

Selbstverständlich war das offizielle Echo der Süddeutschen negativ. Die haben sich schon lange auf Konfrontatuion eingerichtet.Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie nicht in bekannter Manier zurückgekeult hätten.

Aufschlussreicher ist das hiesige Echo. Die Deutschen reagieren in der Auseinandersetzung um den Fluglärm jeweils wie eine gut eingespielte Mannschaft, einmütig und geschlossen. In der Schweiz dagegen geht es stets zu wie in einem Intrigantenstadl: Man fällt sich in den Rücken.

Typisch die Reaktion der SVP: Statt Ledergerber Recht zu geben, wirft ihm die Partei der Patrioten und des permanenten Wahlkampfs vor, er habe nur an seine Wähler gedacht. Eine ganz neue Erkenntnis: Unter den Folgen der deutschen Sperrzeiten leiden nur die SP-Wähler. Und was für eine selbstlose Haltung der SVP, dass sie zu Gunsten dieser geplagten SP-Wähler ständig nach Retorsionsmassnahmen gegen die Deutschen schreit!

Typisch aber auch, dass ein solcher Brief in der Schweiz überhaupt Irritation auslösen kann.Die Belastung der Deutschen ist minim im Vergleich zu der der Flughafenanwohner, der Schaden, den sie anrichten, steht in einem grotesken Missverhältnis zu dem, den sie erleiden. In vaterländischen Ansprachen ist zwar ständig von den wehrhaften Eidgenossen die Rede, im realen Leben aber scheint Duckmäuserei die Losung. Nicht anecken! Nur kein offenes Wort!

Die Schweizer müssten wieder lernen auszurufen, sagt Ledergerber. Offenbar haben das nur zwei Frauen begriffen. FDP-Präsidentin Doris Fiala, die Ledergerbers «fadengerade Analyse» lobt, und Rita Fuhrer, die darauf hinweist, dass die Deutschen bisher sehr «leidensstarke» Schweizer erlebt hätten, die ihren Ärger lieber an den eigenen Politikern ausgelassen hätten. «Sag Au!, wenn man dir auf die Zehen tritt», fordert Ledergerber. Wie Recht er hat!

Es fragt sich nur, weshalb wir das verlernt haben. Und es fragt sich, weshalb wir den Deutschen nicht zu sagen getrauen, dass sie uns mit ihren Sperrzeiten sogar ganz gewaltig auf die Zehen treten. Stattdessen liessen wir sie in Ruhe, zuerst, weil wir uns wegen vergangener Fehler lieber selber Vorwürfe machten, dann, weil wir es vorzogen, mit uns selber Schwarzpeter zu spielen.

Selbstzerfleischung statt Eintracht: Schöner kann man den Deutschen nicht in die Hände spielen. Wir würden besser Ledergerber das Kränzchen winden, das er sich verdient hat.


Wie ein Teil der Leserbriefe in der gleichen Ausgabe zeigt, trifft dieser Schweizer Hang zur Selbstzerfleischung zu ...

Bravo, Elmar Ledergerber! Diese Gedanken waren schon lange in meinem Sinn. Sie sind mutig! Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ihnen gebührt ein grosses Lob als «Stapi» von Zürich!
HANSPETER WILHELM, ADLISWIL 

Gemeinsame Lasten fair aufteilen. Einige der Punkte, welche Elmar Ledergerber in seiner Argumentation aufführt, sind wohl untauglich. Was deutsche Touristen und Studenten mit dem Flughafen zu tun haben, weiss wohl nur er. Andere Punkte hingegen sind jedoch in ihrer Richtigkeit nicht von der Hand zu weisen, was in Südwest-Deutschland aber nicht anzukommen scheint. Landrat Tilman Bollacher irrt sich gewaltig, wenn er der Meinung ist, dass wir etwas von den Deutschen wollen. Wir möchten nicht, dass die Deutschen die zürcherischen Lasten tragen, wir wollen, dass die gemeinsamen Lasten fair aufgeteilt werden. Ich nehme es Bollacher nicht ab, dass sich ihm die Bedeutung des Flughafens Zürich für seine Region nicht erschliesst.
Falls es doch so sein sollte, müsste man sich die Frage stellen, ob der Mann für das Amt des Landrats überhaupt geeignet ist. – Gerne profitiert man vom Flughafen, wenn man Destinationen anfliegen will, welche von Stuttgart aus nicht zu erreichen sind. Dann ist es ein willkommener europäischer Flughafen. Wenn es darum geht, einen Teil der Last zu tragen, dann ist es ein innerschweizerisches Problem.
Ausgerechnet in Deutschland, Gründungsmitglied der EU, scheint der europäische Gedanke nicht angekommen zu sein. Die «Stammtisch-Lösungen» der so genannten Scharfmacher dürften kaum der richtige Weg sein. Aber die Gesundheit der Lärmgeplagten und gestressten Schweizer muss mit teuren Lärmschutzmassnahmen geschützt werden. Ein willkommener Beitrag zu diesen Ausgaben wäre eine Sondertaxe für Passagiere aus Deutschland. Denn wir ertragen auch den Lärm, den sie mitverursachen
D.D. (Name dem VFSN bekannt)

Beide Seite profitieren. Im Interesse einer nachhaltigen nachbarschaftlichen Länderbeziehung sollte sich der Zürcher Stadtpräsident solche plumpen Peinlichkeiten verkneifen. Von den Nachbarn wird gefordert, was man selbst nicht zu tragen bereit ist. Passend für das reichste Land der Welt auch, dass die «Argumente » so verwöhnt-arrogant und erpresserisch tönen. Herr Ledergerber sollte nicht vergessen, dass Personen – wie Güterströme – in beide Richtungen fliessen, wobei auch beide Seiten profitieren.
Und zum guten Schluss noch ein Gedankenspiel: Hätte die Deutsche Lufthansa die marode Swiss nicht übernommen, gäbe es jetzt vielleicht keinen Fluglärm mehr.
Allerdings auch keine Arbeitsplätze für Schweizer Bürger am Flughafen Kloten.
PETRA KELLY, FEHRALTORF

Die meisten Politiker sind mutlos. Gratulation, Herr Ledergerber, endlich einmal etwas Mutiges von einem Politiker. Es hat lange gedauert, bis jemand diesen kleinkarierten süddeutschen Schmarotzern den Spiegel hingehalten hat. Alle wollen fliegen, keiner will den Lärm. Auf keinem anderen europäischen Flughafen könnten solche Regelungen durchgesetzt werden. Was die Nachbarn nördlich der Grenze fordern und von ihren Lakaien in Berlin unterstützt wird, hat die Grenze des Zumutbaren seit Langem überschritten. Leider glänzen die meisten unserer nationalen Politiker mit mutloser Taktiererei. Zeit einen Warnschuss nach Norden abzugeben.
TONI SCHÖNBÄCHLER, HAUSEN A. A.

Keiner nimmt Rücksicht. Stapi Ledergerber hat Recht! Nur sollte er auch gleichzeitig zum Rundumschlag ausholen. Lärm und Gestank ist es ja nur dann, wenn es nicht der eigene ist! Viele flugzeuglärmgeplagte Nachbarn um Zürich setzen sich jeden Morgen in ihr Auto, um sich an ihre Arbeit in unserer schönen Stadt zu quälen. Keiner nimmt dabei Rücksicht auf unsere Nachtruhe, und keiner nimmt seinen Lärm und Gestank am Abend wieder mit!
PETER LÄUBLI, ZÜRICH

Peinliche Provokation. Wieder einmal mehr versucht sich unser Stadtoberhäuptling im Alleingang zu profilieren.
Müssen wir uns langsam an die jeweiligen Peinlichkeiten, die dabei entstehen, gewöhnen? Nett, wie die kleinkarierten Forderungen nach Revanche den anderen Mitbürgern in den Mund gelegt werden.
Wahrscheinlich sind dies die gleichen Leute, die ennet der Grenze ihre günstigere Einbauküche und die Bauhandwerker bestellen. Vor wenigen Tagen wurde uns klar gemacht, dass Zürich eine weltoffene Stadt ist, und jetzt dies. Sollte der neue Slogan nicht noch erweitert werden: Wir leben Zürich – wir vertreiben Deutsche.
BEAT STADELMANN, ZÜRICH

Rassistisch? Mit seinem offenen Brief outet sich Herr Ledergerber als Rassist. In der Schweiz ist das verboten – oder irre ich mich? Wer zieht Herrn Ledergerber zur Rechenschaft?
BEATE BOSSHART-MUMME, KILCHBERG

Tages-Anzeiger, 07.02.2007, auf den Seiten 13 und 21



siehe auch:
Ledergerber mit deutlichen Worten (TA)
Ledergerber provoziert Süddeutsche (VFSN)
Die Stunde der Selbstgeisselung ist vorbei (Weltwoche)
Bravo, Elmar Ledergerber! (Leserbriefe TA & NZZaS)