Ledergerber provoziert Süddeutsche (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
In Zeitungsinseraten rechnet Stadtpräsident Ledergerber den Deutschen vor, dass sie von der Schweiz profitieren - und tönt Drohungen wie Brückensperren oder Passagierboykott an.
Von Ruedi Baumann

Das war wieder einmal typisch Elmar Ledergerber: In ganzseitigen Inseraten in den grossen süddeutschen Zeitungen und einem offenen Brief an Günther Oettinger, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, legt Zürichs Stadtpräsident Elmar Ledergerber eine ganze Reihe von Argumenten zum Fluglärmstreit auf den Tisch - aber auch Gegenmassnahmen, wie man sie sonst am Stammtisch hört.

Ledergerbers Appell an die «lieben Nachbarinnen und Nachbarn im südlichen Schwarzwald» ist klar in der Bitte, man möge die einseitige Verordnung zu den Anflügen auf den Flughafen Zürich überdenken sowie neu und besser formulieren. Nur so könne eine «faire Verteilung» und eine gemeinsame «Win-win-Situation» des Nutzens aus dem Flughafen erreicht werden.

Ledergerbers Hauptargumente im Brief:

  • Auf dem Flughafen arbeiten 1000 Deutsche, 600 aus dem Südschwarzwald.
  • 8 Prozent aller Passagiere in Kloten (1,5 Millionen Personen) sind Deutsche, knapp ein Viertel aller Flüge verbinden Zürich mit deutschen Flughäfen.
  • Die Lärmbelastung der lauten Starts wird praktisch zu 100 Prozent von Zürcher Gemeinden getragen.
  • Täglich fahren weit über 30 000 Menschen aus dem Südschwarzwald zur Arbeit in die Schweiz.
  • Jeden Werktag überqueren mehr als 3000 deutsche Lastwagen die Grenze zur Schweiz. Die Lärmbelastung eines solchen Lastwagens ist deutlich höher als diejenige eines Landeanflugs über Hohentengen.
  • Fast 100\'000 Tonnen Müll aus Deutschland werden jedes Jahr in der Schweiz verbrannt. Tausende von Güsellastwagen fahren auch durch die Strassen von Zürich.
  • 100\'000 Übernachtungen von Schweizer Touristen pro Jahr verzeichnen allein die Landkreise von Waldshut und Konstanz. Viele Schweizer kaufen zudem im Südschwarzwald ein.
  • An den beiden Universitäten von Zürich werden 2500 Studierende und Doktoranden aus Deutschland ausgebildet.
  • 20\'000 Deutsche wohnen heute in Zürich, ihre Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

In Watte verpackte Drohungen

Ledergerber wäre nicht Ledergerber, wenn er nicht auch mögliche Retorsionsmassnahmen angetönt hätte. «Ich höre wöchentlich Leute», schreibt er, «die immer drängender fordern, man müsse doch endlich Gegenmassnahmen ergreifen.» Und erwähnt als Beispiel, man könnte doch die Rheinbrücken aus Lärmschutzgründen in denselben Stunden sperren, in denen die Nordanflüge untersagt sind. «Gewisse Scharfmacher», schreibt Ledergerber weiter, forderten, man müsse Angestellten aus dem Schwarzwald am Flughafen kündigen. Oder man solle die Gäste aus dem Schwarzwald, die vom Flughafen Zürich abfliegen oder dort ankommen, «diskriminieren oder gar aussperren».

Solche Forderungen, betont Ledergerber, seien alles «gefährliche Überreaktionen und untaugliche Mittel». Doch eine solche Stimmung könnte in der Bevölkerung an Bedeutung zulegen, wenn es nicht gelinge, die Einschränkungen zu lockern und den Boden für eine gemeinsame, produktive Entwicklung zu legen, heisst es weiter im Inserat, das gestern auch noch in der «NZZ am Sonntag» für die einheimischen Adressaten verbreitet wurde.

Deutsche sind verärgert und erzürnt

In Deutschland wurde der offene Brief als Provokation aufgefasst, in der Schweiz waren die Reaktionen durchzogen. Ministerpräsident Oettinger erklärte gegenüber der «Badischen Zeitung», er werde von den derzeit geltenden Abflugbeschränkungen nicht Abstand nehmen. Der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher schrieb in einem Brief an Ledergerber, sein Brief habe ihn «verärgert und erzürnt». Schliesslich sei es nicht so, dass die Süddeutschen etwas von den Zürchern wollten. «Sie wollen doch, dass wir für die Zürcherinnen und Zürcher Lasten übernehmen.» Mit Drohungen wie Brückensperrungen gefährde Ledergerber das gute Einvernehmen an der Grenze.

Tagesanzeiger, 05.02.2005, Seite 11



Ledergerber nervt Deutsche und überrascht Leuenberger

Zürichs Stadtpräsident mischt sich in den Fluglärmstreit mit Deutschland ein. Die SVP spricht von einem Heckenschuss, die FDP applaudiert, und Bundesrat Leuenberger wusste von nichts.

Von Ruedi Baumann Zürich. –

In ganzseitigen Zeitungsinseraten erklärte der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber am Wochenende den «lieben Nachbarn» aus dem Schwarzwald, wie sehr sie von der Schweiz und vor allem von Zürich profitierten. Wenn die deutschen Anflugbeschränkungen für den Flughafen Kloten nicht gelockert würden, würde in der Schweiz der Ruf nach Gegenmassnahmen immer lauter werden, etwa nach Brückensperrungen, Entlassung von deutschen Angestellten am Flughafen oder Diskriminierung von deutschen Passagieren in Kloten.
Der zuständige Bundesrat Moritz Leuenberger hat von der Initiative seines Parteikollegen erst aus der Zeitung erfahren. «Für uns zählen nur die offiziellen Verhandlungen zwischen Bern und Berlin», sagte Leuenbergers Pressesprecher. Auch Rita Fuhrer, die zuständige Zürcher Regierungsrätin, wurde überrascht. Sie muss sich heute Montag im Kantonsrat der Debatte um die Plafonierungsinitiativen stellen. Die besten Noten erhielt Ledergerber von der Zürcher FDP-Präsidentin Doris Fiala: «Diesen Mut und diese fadengerade Analyse hätte ich von Bundesrat Leuenberger schon seit Jahren erwartet.» Ledergerber sage schliesslich nur, was die Bevölkerung schon lange denke. Auch der Zürcher SP-Präsident Martin Naef lobte die «gute Aktion» und das Engagement Ledergerbers als Stadtpräsident. «Vielleicht kann er damit in Süddeutschland eine ganzheitliche Diskussion anstossen.» Der Zürcher SVP-Präsident Hansjörg Frei dagegen sprach von einem «Heckenschuss in den Rücken von Genosse Leuenberger ». Argumente würden in einem offenen Brief nicht besser wirken als auf Ministerebene. Mit dieser Aktion gebe die Schweiz in Deutschland ein «pitoyables Bild» ab. Ledergerber habe wohl vor allem «ans eigene Stimmvolk in Zürich gedacht ». Besonders ärgerlich seien die Inserate, weil die SP mit Plafonierungsinitiativen «den Flughafen strangulieren» wolle. Das Flughafendossier sei bei «Leuenberger definitiv in falschen Händen».

Tages-Anzeiger, 05.02.2007, Seite 1

Ledergerbers Offener Brief an Ministerpräsident Oettinger (PDF, 652 kB)

 



Kommentar VFSN:
Süddeutschland war auf Fakten schon immer allergisch. Es ist doch bezeichnend, dass das Aufzählen von Fakten als Provokation verstanden wird. Nur 0.88% der Schallenergie eines Endanfluges (die letzten 25 km) geht bei einem Nordanflug auf deutschem Gebiet nieder. Verursacht von Flugzeugen die sich zu 60% in Besitz deutscher Firmen befinden. Unter diesen Umständen ist einzig die DVO eine Provokation!
Warum sollte man nicht Brücken sperren um die Bevölkerung vor Lärm zu schützen? Natürlich würden die betreffenden Anwohner Privilegien geniessen, von denen alle anderen Schweizer nur träumen können. Aber das kennen wir doch irgendwo her?

siehe auch:
Ledergerber mit deutlichen Worten (TA)
Schweizer Selbstzerfleischung (TA)
Die Stunde der Selbstgeisselung ist vorbei (Weltwoche)
Bravo, Elmar Ledergerber! (Leserbriefe TA & NZZaS)