Fluglärm - Knacknuss auch für Experten (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Unklare Auswirkungen eines veränderten Anflugwinkels

Mit der stufenweisen Einführung des Instrumentenlandesystems (ILS) wird die Südanfluglinie etwas flacher werden und nach Westen verlagert. Was das für die Lärmimmissionen konkret bedeutet, lässt sich nur abschätzen. Noch nicht entschieden scheint, auf welcher Höhe die Flugzeuge zum Endanflugpunkt geführt werden.

bt. In den vom Südanflug betroffenen Gebieten werden - wie inzwischen auch eine breitere Öffentlichkeit weiss - die Tage der Überflüge mit der stufenweisen Inbetriebnahme des Anflugsystems nicht nur zunehmen, sondern es wird auch der Anflugwinkel verändert. Ab Mai 2004 soll der sogenannte Localizer und ab November ein voll ausgebautes Instrumentenlandesystem (ILS) den Betrieb aufnehmen. Damit kann die Piste 34 in Kloten auch bei schlechterem Wetter, und damit öfter, benutzt werden. Eine Verlagerung der Lärmbelastung bringt aber auch die Veränderung des Winkels zwischen dem Endanflugpunkt rund zwei Dutzend Kilometer vor der Piste und dem Aufsetzpunkt in Kloten (423 Meter über Meer). Er wird im Mai von 3,5 auf 3,3 Grad reduziert. Das ergibt in etwa 10 Kilometern Distanz von der Piste (zwischen Gockhausen und Pfaffhausen) eine Höhenreduktion des Gleitwegs von gut 35 Metern, in 15 Kilometern Distanz (etwa Forch) sind die Flugzeuge knapp 53, in 20 Kilometern gut 70 Meter tiefer als heute. Zum andern wird die ganze Linie um etwa 2 Grad nach Westen gedreht, was beim Hochspitz Pfannenstiel (17 Kilometer vom Drehpunkt) eine Verschiebung um gut 590 Meter seewärts ergibt. Gleichzeitig könnten die Flüge stärker gebündelt werden. Die Breite des zulässigen Anflugsektors zum Beispiel beim Pfannenstiel reduziert sich von knapp 3000 auf etwa 600 Meter. Was diese Linienänderungen für den Lärm konkret bedeuten, können zurzeit aber auch Experten nicht schlüssig sagen.

Modelle mit Messwerten vor der Landung
Berechnungen der Lärmimmissionen sind äusserst komplex. Bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf hat man für die für den Flughafen Zürich erstellten Karten der Lärmbelastung Modellrechnungen erstellt, die sich auf Lärmmessungen stützen. Die Modelle erlaubten aufgrund der Messwerte und Simulationen der Flugbewegungen Berechnungen für den in verschiedenen Gebieten zu erwartenden durchschnittlichen Lärm (Leq). Als Basis wurden die effektiv bei einer Landung oder bei einem Start bei verschiedenen Flugzeugtypen auftretenden Lärmbelastungen an zahlreichen Punkten in der Umgebung rings um das Flugzeug gemessen. Dabei zeigte sich, dass sich der Lärm im Wesentlichen bei neueren, in Bewegung befindlichen Flugzeugen nach allen Seiten hin relativ gleichmässig ausbreitet, ausgenommen auf der Bewegungsachse nach hinten. Da sorgen die heissen Abgase offenbar für eine Beugung der Schallwellen zur Seite, was zu einem reduzierten Pegel auf der Achse und seitlichen Maxima führt.

Mit zunehmender Distanz zur Quelle nimmt der Lärmpegel jedoch ab. Da ist zum einen die rein geometrische Verdünnung - bei einer Verdoppelung der Distanz reduziert sich der momentane Lärmpegel laut Walter Krebs von der Empa, der massgeblich an den Fluglärmmodellen mitgearbeitet hat, um etwa 6 Dezibel. Berücksichtigt man allerdings, dass ein Flugzeug in grösserer Distanz länger hörbar bleibt, vermindert sich der pro Ereignis gemessene Lärm nur um 3 Dezibel gegenüber dem Wert in halber Distanz.

Der Lärm nimmt aber nicht nur aus geometrischen Gründen ab. Der Schall wird auch durch die Luft gedämpft. Diese Dämpfung ist nahe der Quelle grösser als weit entfernt, weil die hohen Frequenzen rascher herausgefiltert werden und nur noch tiefere Töne in grössere Entfernungen vorstossen. Bei 100 Metern Abstand von der Quelle beträgt diese Dämpfung laut Krebs etwa 1 Dezibel pro Distanzzuwachs von 100 Metern, bei einer Entfernung von 1000 Metern sind es laut den Messungen etwa 0,4 Dezibel, bei 3000 Metern noch 0,2 und bei 5000 Metern 0,1 Dezibel pro 100 Meter zusätzliche Entfernung. Die Reduktion addiert sich zur Schalldämpfung aus geometrischen Gründen. So vermindert sich der Maximalpegel zum Beispiel in einer Entfernung von 1000 Metern gegenüber 500 Metern bei einem Überflug von einem Flugzeug um etwa 7 Dezibel. Zum Vergleich: 10 Dezibel entsprechen ungefähr dem Lautstärkenunterschied zwischen einer Unterhaltung und mittlerem Strassenverkehrslärm - oder einer subjektiven Verdoppelung des Lärms.

Lufttemperatur und -feuchtigkeit
Die Distanz ist aber nicht allein entscheidend für den an einem bestimmten Ort eintreffenden Schallpegel. Auch Feuchtigkeit und Temperatur der Luft spielen mit. Trockene kalte Luft trägt den Schall in vielen Fällen weniger weit als feuchte wärmere. Zudem kann zum Beispiel eine Inversionslage - wenn also wärmere Luftschichten über kälteren liegen - Schallwellen, die sich nach oben ausbreiten, wieder gegen den Boden beugen und so Lärm auf die hintere Seite eines Hindernisses lenken. Entsprechend ist auch der Fluglärm je nach Ort und momentanen Verhältnissen höchst unterschiedlich hörbar.

Doch nicht nur aus diesen Gründen sind exakte Berechnungen über die zu erwartenden Immissionen in entfernteren Gebieten des Flughafens kaum machbar. Entscheidend ist auch die Landephase, in der sich ein Flugzeug befindet. Die Landeklappen werden in Stufen ausgefahren, und etwa ein Dutzend Kilometer vor der Landung folgt auch das Ausfahren des Fahrwerks. Beides kann zur Entstehung von Lärm beitragen. Die Empa-Modellrechnungen für die Lärmkarten der Unique basieren aber alle auf den Fluglärmmessungen in der letzten Phase von Start und Landung - für Orte, die genügend weit weg von der Piste sind, kann das zu einer Überschätzung des Lärms führen.

In welcher Distanz von der Piste mit dem Ausfahren der Landeklappen begonnen wird, hängt laut den Fachleuten von einer Vielzahl von Faktoren ab. Das kann lange vor Erreichen des Endanflugpunktes sein und hängt insbesondere von der Fluggeschwindigkeit, vom Gewicht, vom Wetter, vom Flugzeugtyp, vom Absinkwinkel und von der Linienführung bis zum Einfädeln in den ILS- Gleitweg ab. Aber auch der Beitrag der Klappen zum Lärm variiert laut Experten erheblich. Kann eine Besatzung dank teilweisem Ausfahren der Landeklappen bei günstigen Windverhältnissen praktisch ohne Schub im Sinkflug gleiten, können sie gar zu einer Reduktion des Geräuschpegels führen. Auch der Lärmbeitrag des Fahrwerks hängt stark vom Flugmodus ab.

Verschiebungen bei den Anflugkorridoren
Zu Veränderungen bei der Lärmbelastung kommt es ab Mai 2004 sodann nicht nur für die Bewohner direkt unter der Anfluglinie ab dem Endanflugspunkt. Auch bei den Anflugkorridoren über Wetzikon-Rapperswil beziehungsweise Affoltern-Richterswil könnten sich Verschiebungen ergeben. Sie hängen zum einen davon ab, ob die Unique den Startpunkt für den Endanflug auf 6000 Fuss (1829 Meter über Meer) belässt oder ihn um 305 Meter auf 5000 Fuss reduziert. Entsprechend verschiebt dieser sich auf der Anfluggeraden etwas weiter von Zürich weg oder näher an die Stadt (siehe Grafik). Dieser Punkt wird von den Piloten zurzeit horizontal angeflogen und beeinflusst daher die Flughöhe und die Kurve, auf denen die Skyguide die Crews an den Anflugpunkt heranführt. Mit dem ILS kann laut Piloten der Anflug allerdings optimiert werden, was ein geräuschärmeres Fliegen ermöglicht. Noch ist laut Unique aber gar nicht entschieden, welche Höhe gewählt werden soll - ein Unterschied, der mit gut 300 Metern auf eine Überflughöhe von jetzt 1000 bis 1400 Metern, je nach Beobachter, ebenfalls spürbar werden könnte.

NZZ, 29.11.2003