Zürich ist nicht die Schweiz (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Zur Plafonierung von Anflügen auf den Zürcher Flughafen

Die Schweizer Volkswirtschaft besteht aus regionalen Volkswirtschaften mit mehreren Flughäfen. Darum ist eine Anflugplafonierung in Zürich nicht automatisch schlecht für die gesamte Schweiz.

Flugemissionen beschränken sich nicht auf den Lärm der Flugzeuge.

Von Hans Würgler-Zweifel*

Regierung, Parlament und Volk des Kantons Zürich müssen sich einmal mehr mit dem Flughafen Kloten befassen. Die «Plafonierungsinitiative» «für eine realistische Flughafenpolitik» will die Zahl der Flugbewegungen und die Betriebszeit des Flughafens verbindlich festlegen. Zu ihr ist eine analoge, aber in beiden Punkten weniger restriktive Behördeninitiative hinzugekommen. Die Regierung lehnt beide Initiativen ab und bringt nun einen fragwürdigen Gegenvorschlag ins Parlament, der darauf abzielt, die Zahl jener Personen zu begrenzen, die vom Fluglärm stark betroffen werden.

Die Initiativen nehmen die diversen «Flugemissionen» ins Visier, die es zu begrenzen gilt. Die Regierung hingegen verengt die negativen Emissionen offensichtlich auf den Fluglärm. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Initiativen der Kapazität des Flughafens Schranken setzen wollen, wogegen die Regierung das Angebot auf die Nachfrage ausrichten will, allerdings unter Regulierung der Lärmbelastung.

Der ab 1946 in mehreren Etappen erfolgte Ausbau des Flughafens Kloten hatte vielgestaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Die wichtigste zeigt sich in der Besiedlung des Landes mit der Entstehung einer wachsenden Agglomeration. Parallel dazu verlief der Ausbau des Verkehrsnetzes mit Strassen und Schienen samt zugehörigen Infrastrukturen. Das kartografische Bild und Luftaufnahmen lassen heute erkennen, dass die schweizerische Raum- und Landschaftsplanung weit gehend versagt hat. Die Zonenplanungen der Gemeinden waren offensichtlich zu grosszügig, sodass durch die stetige Kapazitätserweiterung des Flughafens Siedlungen in die Region Zürich und die Nachbarregionen ausufern konnten.

Flughafen und Bevölkerungsentwicklung

Diese Expansion hat den Wirtschaftsschwerpunkt der Schweiz in den Nordosten des Landes verschoben, was sich in der Bevölkerungsentwicklung deutlich widerspiegelt. Die Pendlerströme schwellen an, was etwa bereits den Bau eines neuen Bahnhofs im Rahmen des HB Zürich nach sich zieht. Diese Entwicklung hat auch die Bevölkerungsstruktur verändert: Die Menschen arbeiten vermehrt im Dienstleistungssektor, und es leben mehr Ausländer in der Region. Die Zuwanderung und Binnenwanderung stärkt die städtischen Agglomerationen und schwächt die peripheren Räume der Schweiz.

Die Zürcher Regierung freut sich über das Wirtschaftswachstum, das in ihrem Herrschaftsgebiet nachweislich vom Flughafen ausgeht; sie glaubt offenbar, vom Flughafen würden nur positive Impulse ausgehen. Wächst aber auch der wahre wirtschaftliche und gesellschaftliche Wohlstand, wenn man an Lebensqualität, ökologisches Gleichgewicht und soziale Gerechtigkeit denkt? In wachsenden Städten und Agglomerationen steigt der Infrastrukturbedarf überproportional zu ihrem «regionalen Volkseinkommen». In diesem Sinne gehen die «Flugemissionen» weit über den Lärm der Flugzeuge hinaus; es geht um die Gesamtheit der «externen Kosten», die mit dem Bau und Betrieb eines Flughafens verbunden sind.

Was bringt Zürich-Kloten der Romandie?

Was in der Forschung bislang nicht geleistet wurde, sind vollumfängliche Kosten-Nutzen-Analysen der schweizerischen Flughäfen, und zwar aufgegliedert nach einzelnen Flughafenregionen. Der Blick auf die Volkswirtschaft kann nicht bloss gesamtschweizerisch ausgerichtet sein, sondern muss Regionen berücksichtigen, die nach Flughäfen oder Agglomerationen strukturiert sind. Es ist unbestritten, dass der Flughafen Kloten der zürcherischen Volkswirtschaft etwas nützt - aber nützt er auch der Romandie? Und: Welches sind die «internen» und «externen Kosten» des Flughafens Kloten für die Agglomeration Zürich und für die Romandie?

Nur solche Kosten-Nutzen-Analysen der Flughäfen Basel, Bern, Genf und Zürich würden dem Bund die Basis liefern für eine effiziente und gerechte Flughafenpolitik, bei der auch der zugehörige Verkehr auf Schiene und Strasse berücksichtigt würde. Das Problem des Fluglärms würde bei einer solchen Betrachtung einen untergeordneten Stellenwert bekommen.
Eine Plafonierung der Zahl der Flugbewegungen, verbunden mit einer Nachtsperre, steckt die Betriebskapazität eines Flughafens ab. Damit werden auch die zentralen und peripheren Infrastrukturbedürfnisse des Flugbetriebs bestimmt und somit planbar. Die Besiedlung der Flughafenagglomeration erhält auf diese Weise eine natürliche Begrenzung, die durch Bauzonenordnungen festgelegt werden kann. Die Nachfrage nach Flugleistungen verteilt sich dadurch emissionsgerecht auf die Flughäfen. Die zulässigen Flugzeuge lassen sich weiterhin mit einer Gebührenordnung regulieren.

Das Fazit lautet somit:

  • Eine Plafonierung der Flugbewegungen, wie sie die Initiativen anstreben, bildet heute die richtige Politik für Kloten; der Plafond mag sich in etwa an der aktuellen Kapazität orientieren.
  • Die Schaffung eines Lärmindexes für allfällige Massnahmen zur Begrenzung der Lärmbetroffenen ist niemals eine echte Alternative zur Plafonierung, kann aber eine sinnvolle Ergänzung sein.
  • Es ist Aufgabe des Bundes, in Kooperation mit den Kantonen, eine regional differenzierte und ökologisch nachhaltige, gesamthafte Verkehrs- und Siedlungspolitik zu konzipieren.

* Hans Würgler-Zweifel ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der ETH Zürich. Von 1964 bis 1992 war er Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETHZ.

TA, 13.10.2006, Seite 13