«Die Probleme sind nicht gelöst» (Sonntagszeitung)

Publiziert von VFSNinfo am

Lärmforscher CARL OLIVA über Regierungsrätin Rita Fuhrers Zürcher Fluglärm-Index

Statt der Flugbewegungen will Zürichs Regierungsrätin Rita Fuhrer die Anzahl vom Fluglärm stark gestörter Personen (AsgP) beschränken. Die letzte Woche vorgestellte Berechnungsmethode sei untauglich, kritisiert der Lärmforscher Carl Oliva, Autor der Studie «Belastung der Bevölkerung durch Flug- und Strassenlärm» von 1998.

Herr Oliva, Sie hatten Regierungsrätin Fuhrers Vorschlag für einen Zürcher Fluglärm-Index (ZFI) im Januar als untauglich kritisiert. Seither ist das Modell verfeinert worden. Sind Ihre Vorbehalte ausgeräumt?
Nein. Das jetzt vorgestellte Modell hat die damals erwähnten statistischen Probleme nicht gelöst.

Warum?
Der Richtwert von 47 000 Menschen, die vom Fluglärm stark gestört werden dürfen, ist keine wissenschaftlich geeichte Grösse. Er ist eine reine Schätzung, von der nicht einmal eine Standardabweichung bekannt ist.

Was heisst das?
Wir haben keine Ahnung, wie genau dieser Richtwert ist. Für die Bestimmung der Störung durch Fluglärm ist eine Metastudie verwendet worden, die möglichst viele Fluglärmstudien, die in sich nicht vergleichbar sind, zu einer Formel zusammenpackt.

Im Januar sagten Sie, die Aussage über die Anzahl stark gestörter Lärmopfer werde zu 80 Prozent falsch sein. Hat sich dieser Wert verbessert?
Davon gehe ich nicht aus. Die Streuung der in der Metastudie enthaltenen Daten ist gross. Die Prognosegenauigkeit ist nicht exakt bestimmbar. Die Übertragbarkeit auf die Region Zürich ist nicht geklärt.

Sie gehörten zur Expertengruppe, die den ZFI entwickelt hat. Wurden Ihre Einwände nicht berücksichtigt?
Ich habe meine Kritik eingebracht, aber sie wurde nicht aufgenommen. Ich kann diesem Versuch nun zusehen und hoffe auf einen Serendipity-Effekt (glücklicher Zufall, d. Red.).

Was hätte anders gemacht werden müssen?
Am besten wäre eine neue, auf den ZFI ausgerichtete Studie. Es reicht nicht, ein paar ausländische Studien zu nehmen und daraus Schlüsse für Zürich abzuleiten.

Wird die Beschränkung der Fluglärmopfer eine Beruhigung der Diskussion bringen?
Nein. Die Emotionen sind nicht vom Tisch. Zumal nicht klar ist, ob überhaupt etwas passieren würde, wenn der Richtwert überschritten wird. Der Kanton hat sehr wenige Kompetenzen, welche die Spannungen in der Bevölkerung absorbieren könnten.

Was schlagen Sie vor?
Ich würde Schallkontingente schaffen. Zum Beispiel festlegen, dass das im Tagesdurchschnitt mit 60 Dezibel oder mehr (LEQ-60-Kurve) belastete Gebiet höchstens 60 Quadratkilometer umfassen darf. Diese Fläche wäre so um den Flughafen zu legen, dass möglichst wenig Leute belärmt werden.

Warum wäre das besser?
Jeder weiss, wo er mit Lärm zu rechnen hat. Das gibt Planungssicherheit und lässt dem Flughafen Entwicklungsmöglichkeiten.

Verhindert der ZFI das weitere Wachstum des Flughafens?
Überhaupt nicht, dafür ist er auch nicht gedacht. Die Parameter sind so hoch angesetzt, dass der Flughafen weiter wachsen kann. Wenn dem ZFI die Anzahl Flugbewegungen aus dem Rekordjahr 2000 zu Grunde gelegt wird, hat das keinen wissenschaftlichen Grund.

INTERVIEW: CHRISTIAN MAURER

Sonntagszeitung, 27.08.06



siehe auch:
Aus AsbP wird ZFI – eine Pionierleistung in der Fluglärmproblematik (Medienmitteilung VFSN)
«Der Richtwert ist nicht greifbar» (Leserbriefe TA)
Rita Fuhrers «Verwirrformel» (Leserbriefe TA)
Gegenvorschlag des Regierungsrates zur Plafonierungsinitiative (Medienmitteilung des Regierungsrates)
Dieser Richtwert ist inakzeptabel (Initiativkomitee)
Skepsis gegenüber Fluglärm-Index überwiegt (NZZ)
Regierung setzt auf Fluglärm-Index (TA)
Ein Beispiel nicht zu übertreffender Transparenz (Bild des Monats: August 2006)
Weshalb der Index ist, wie er ist (TA)
«Lex Bäumle» zeigte Wirkung (ZOL)
Zürcher Fluglärm-Index als Gegenvorschlag ungeeignet (Fluglärmforum Süd)

Die Alternative zur Verwirrformel: Flughafeninitiative JA