Direktflüge statt Hub-Strategie (NZZ 28.12.2020)

Publiziert von VFSNinfo am

Direktflüge statt Hub-Strategie: So könnte die Pandemie den künftigen Flugverkehr verändern

Die Covid-19-Krise legt bereits vorhandene Strukturprobleme bei der Swiss offen: enorme Überkapazitäten, keine kostendeckenden Preise und keine Reserven.

Gastkommentar von VFSN-Mitglied Jean-Pierre Schiltknecht in der Neuen Zürcher Zeitung

Das Geschäftsmodell der Swiss basiert darauf, die zur Auslastung ihrer stark überdimensionierten Langstreckenflotte fehlenden Lokalpassagiere als Umsteigepassagiere aus ganz Europa zu Dumpingpreisen nach Zürich zu holen. Die Swiss leistet sich mit 31 Grosstransportern das unberechenbar hohe Risiko einer pro Kopf der Bevölkerung dreimal grösseren Langstreckenflotte als diejenige der Lufthansa und ist damit sehr wohl mitverantwortlich an ihrer Krisensituation, wie damals die Swissair mit ihrer Hunter-Strategie.

Vorteile kleinerer Maschinen

Mit der Entwicklung des Airbus A321 XLR (Extra Long Range) eröffnen sich für die Swiss und den in vielen Belangen überlasteten Flughafenbetrieb Zürich ganz neue Möglichkeiten, den bisherigen betrieblichen und bevölkerungsrelevanten Problemen erfolgversprechend zu begegnen. Dauerthemen wie Verspätungen, Sicherheit, Spitzenkapazität, ZFI, Lärmschutz, Flugrouten und Pistenwechsel könnten effizient und nachhaltig entschärft werden.

Die Vorteile des Einsatzes kleinerer Langstreckenmaschinen für die Bedürfnisse der Schweiz sind einleuchtend und vielversprechend: Erstens kann die internationale Anbindung der Schweiz gemäss Vorgaben des Lupo-16-Berichtes gewährleistet und massgeschneidert werden, ohne einschneidende Abhängigkeit von Umsteigepassagieren. Zweitens werden der Zubringerverkehr und damit die Anzahl Flugbewegungen eingegrenzt, was auch die Schweizer Klimabilanz verbessert und die Pandemie-Verbreitung in die Schweiz reduziert. Drittens würden viele Faktoren das bisherige Verspätungspotenzial abbauen helfen: Ein am Heimmarkt orientierter Direktflugbetrieb ohne massgeblichen Umsteigeanteil hätte keine Anschlussprobleme zu bewältigen. Die sechs durch das Umsteigen bedingten An- und Abflugwellen in Zürich mit einer immer höheren geforderten Bewegungs-Spitzenkapazität wären obsolet. Bei gleichmässiger Verteilung der Flüge auf die 17 Stunden Betriebsdauer reduziert sich die benötigte Stundenkapazität; damit stünden pro Slot längere Zeitreserven zur Verfügung, und die bestehende Infrastruktur des Flughafens würde auf Jahrzehnte hinaus genügen. Viertens hätten die markant kleinere Lärmemission an der Quelle und der Wegfall vieler Zubringerflüge entscheidenden Einfluss auf die Reduktion des umstrittenen ZFI-Wertes (Zürcher Fluglärm-Index).

Ohne Hub-Zwang eröffnen die technischen Fortschritte im Flugzeugbau dem Flughafen Zürich und der Swiss somit die Möglichkeit, erstmals die im bundesrätlichen Lupo-16-Bericht für die Wirtschaft geforderte internationale Verkehrsanbindung des schweizerischen Luftverkehrs und die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Erhalt ihrer Lebensqualität auf einen Nenner zu bringen. Im Klartext heisst dies: Die Swiss passt ihre Langstrecken-Flottenpolitik an, hin zu kleineren Maschinen für Langstrecken-Direktflug-Verbindungen ohne Umsteigepassagiere. Die Swiss müsste dazu ihren Bestand an übergrossen Langstreckenflugzeugen (A330/A340/B777) zurückfahren auf eine Zahl, welche die Hauptverbindungen benötigen, die heute schon ausschliesslich mit lokalen Passagieren gefüllt werden können. Im Gegenzug braucht es Neuanschaffungen bzw. Umbestellungen hin zum kleineren Langstreckentyp A321 XLR.

Keine Pflicht zum Hub

In der Flughafenkonzession 2001–2051 sucht man vergeblich nach einer verpflichtenden Auflage zum Betrieb des Flughafens als Hub. Der Flughafenchef Stephan Widrig bekennt heute, dass es nicht das Ziel sei, möglichst viele Transferpassagiere durch den Flughafen zu schleusen. Eine repräsentative Studie der Universität St. Gallen stellt sogar fest, dass die Luftfahrt mehrheitlich nicht als eine der wichtigsten Triebfedern für die Wettbewerbsfähigkeit angesehen wird.

Eine infolge Insolvenz von der Schweiz übernommene Swiss hätte bei der Ausrichtung auf eine effiziente Direktflugstrategie gute Chancen, als nationale Fluggesellschaft, unabhängig von der Einbindung in den Lufthansa-Konzern, erfolgreich und nachhaltig die internationale Anbindung der Schweiz zu gewährleisten. In Zeiten der Pandemie und der Problematik der Abstandsregeln an Bord der Swiss sollte Gigantismus im Luftverkehr dank Steuerbefreiung und Hub-Betrieb nicht mehr sakrosankt sein.