Wohnungen in die Anflugschneise bauen (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Gemeinde Höri will sich entwickeln, aber die Nähe zum Flughafen kommt ihr in die Quere

In der Flughafengemeinde Höri sollen mithilfe des Kantons neue Wohnungen gebaut werden, wodurch die Zahl der Fluglärmbetroffenen stiege. Allerdings droht ein neues Bauverbot die Pläne zu durchkreuzen.

Michael von Ledebur

Es war ein ungewöhnlicher Appell, den der Präsident der Gemeinde Höri, Roger Götz (svp.), an der Gemeindeversammlung Anfang Juni an die Bevölkerung richtete. Es gelte, die Bautätigkeit voranzutreiben und «Baulücken zu schliessen», und zwar am besten zügig, zitierte ihn der «Zürcher Unterländer». Die Zeitung fasste Götz’ Aufruf zur treffenden Schlagzeile zusammen: «Bauen, solange es geht». Denn der Ort fürchtet, dass ihm ein Bauverbot auferlegt wird – ein Verbot, das die Ämter erst vor kurzem gelockert hatten.

Höri darf sich nicht entwickeln wie andere Gemeinden im Kanton. Rund fünf Kilometer südlich der Gemeindegrenzen beginnt das Gelände des Flughafens Zürich. Die Dächer des Ortes sind die letzten, die landende Maschinen überfliegen. Danach kommen Felder und irgendwann die Piste 14/32. Der Fluglärm blockierte die Entwicklung im grössten Ortsteil Endhöri während Jahren. Aufgrund der Lärmschutzauflagen konnte man dort nur in Ausnahmefällen sanieren oder bauen.

Problem für die Gemeindekasse

Der Stillstand hat Folgen. Die Bausubstanz ist alt, der Ortsteil geprägt von Wohnblockbauten aus den 1960er Jahren. Der Ausländeranteil ist hoch. Zwar sind die Bewohner laut Umfragen nicht unzufrieden, aber die soziale Zusammensetzung des Quartiers ist ein Problem für die Gemeindekasse. Es fliessen wenig Steuereinnahmen. Umgekehrt schlagen Sozialleistungen und Fördermassnahmen in den Schulen negativ zu Buche.

Der Gemeinderat wünscht sich deshalb zahlungskräftigere Steuerzahler und strebt einen besseren Einwohnermix an. Er will den Ortsteil aufwerten. 2011 hat die Behörde gemeinsam mit dem Kanton eine Planung an die Hand genommen. Das Ziel: bauliche Entwicklung trotz Fluglärm. Es geht unter anderem um Schallisolierungen, hochwertige Sanierungen oder kontrollierte Lüftung, die das Öffnen von Fenstern unnötig macht. Daraus resultierte ein Gestaltungsplan, den die Gemeindeversammlung 2016 angenommen hat. Seither darf in Endhöri nach neuen Vorschriften gebaut werden. Ein erster Bau ist konkret Höri in Planung. Weitere sollen folgen.

Beflügelt wurden die Pläne der Höremer 2015 durch Post vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Das Bazl änderte damals die Auslegung der eidgenössischen Lärmschutzverordnung. Diese hatte Nachtflüge ab 22 und 23 Uhr besonders stark gewichtet. Zuvor hatten einige wenige Flieger in dieser Nachtstunde, von den örtlichen Behörden als «Killerstunde» bezeichnet, das Lärmaufkommen über die Immissionsgrenze getrieben. Diese Gewichtung wurde verändert und das Bauverbot gelockert. Seither habe die Zahl der Baukräne im ganzen Ort zugenommen, sagt Gemeindepräsident Götz.

Höri zählt 2700 Einwohner. Die Bauoffensive in Endhöri soll zusätzliche 200 bis 300 Einwohner bringen. Es geht nicht um Neueinzonungen, sondern um Baulücken, die geschlossen werden sollen. Abriss und Neubau im grossen Stil sind hingegen nicht zu erwarten, denn die

meisten der Häuserblöcke befinden sich in Besitz des Kantons, und dieser hat 2016 gegenüber dem örtlichen Quartierverein klargemacht, vorerst keine Ersatzneubauten zu erstellen. In Kantonsbesitz befinden sich auch die meisten ungenutzten Bauflächen. Sie kommen nun auf den Markt: Das Immobilienamt hat kürzlich mehrere Grundstücke zum Verkauf ausgeschrieben.

Die Stimmung könnte also aufgeräumt sein im Gemeindehaus, wäre da nicht das Betriebsreglement 2014, das der Bundesrat diesen Frühling festgelegt hat. Ungemach droht von der Piste 14/32, die ziemlich genau auf Höri zielt. Von dieser Piste sollen künftig auch grosse vierstrahlige Maschinen starten dürfen. Bisher war dies nur auf der Piste 16/34 möglich. Für den Flugbetrieb bringt das Vorteile: kürzere Anrollwege und damit, so hofft man, weniger Verspätungen in den Abendstunden.

Höri hingegen sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass startende Maschinen tiefer über die Hausdächer jenes Ortsteils fliegen, der sich entwickeln soll. Die schweren Maschinen brauchen länger, ehe sie an Höhe gewinnen. Deshalb benötigen die Starts ab Piste 14/32 auch eine Spezialbewilligung, die der Bundesrat mit dem neuen Betriebsreglement erteilt hat. Das Diktat der Lärmkurven droht die Gemeinde wieder einzuholen. Erneut droht ein Bauverbot.

Ein altes Dilemma

Interessant ist, dass der Kanton das Bauen in der Flugschneise unterstützt und den Löwenanteil der Kosten des Gestaltungsplans übernommen hat. Dies, obwohl absehbar ist, dass die zusätzlichen Einwohner den Zürcher Fluglärmindex (ZFI) belasten werden. Die Lärmbelastung wird mit dem Betriebsreglement 2014 in den Abendstunden zunehmen, und gerade diese wirken sich überproportional auf den ZFI aus. Der Kanton betont, mit dem Gestaltungsplan werde die Ausnützung nicht erhöht, es würden also keine zusätzlichen Wohnnutzungsreserven geschaffen. Dennoch bleibt die Tatsache, dass in die Neubauten Leute einziehen werden, was den ZFI nach oben treiben wird. Ein Dilemma: Man will den Gemeinden rund um den Flughafen Wachstum zubilligen; dies aber führt zu mehr Fluglärmbetroffenen.

Bedenkenswert ist auch, dass die Planung, die rund eine halbe Million Franken gekostet hat, durch das neue Betriebsreglement Makulatur zu werden droht. Die Baudirektion bestätigt, dass sich die Fluglärmbelastung in Höri unter dem neuen Reglement erhöhen könnte. «Es kann dazu führen, dass bei den betroffenen Baulandparzellen keine Baubewilligungen für neue Wohnbauten oder Wohneinheiten mehr möglich sind.» So klar ist das allerdings nicht: Beim Bazl versichert man, dass einzelne Lärmüberschreitungen nach 22 Uhr weiterhin nicht gewichtet werden. Insgesamt sinke die Lärmbelastung für Höri gar. Deshalb gebe es keine Einschränkungen, was das Bauen betreffe. Ob nun wirklich ein Bauverbot droht oder nicht, bleibt somit ungeklärt.

Der Gemeinderat von Höri hat schon einmal vorsorglich Einsprache gegen das neue Betriebsreglement eingelegt. Der Fluglärm ist dabei ein Faktor; wichtiger dürfte eine strategische Überlegung sein. Bis die Einsprache bereinigt ist, kann es Jahre dauern. Je länger man die Inkraftsetzung hinauszögert, desto mehr Bauten können realisiert werden. Eben nach dem Motto: Bauen, solange es geht.

NZZ, 16.06.2018, Seite 19