Geteilte Meinungen zu geteiltem Lärm (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Die aktuellen Pläne für die Entwicklung des Flughafens Zürich lassen alte Kritik neu aufflammen - Kritik an der rechtlich relevanten Mittelung des Lärms.

von Andreas Schürer

Wer nur auf die Tageslärmkurve blickt, verortet Zürich nahe beim Paradies. Bezüglich der vom Flughafen verursachten Lärmdosis zwischen 6 und 22 Uhr weist sie auf lange Sicht einen massiven Rückgang aus. Einer, der die Entwicklung bestens kennt, ist Martin Bissegger, Naturwissenschafter und seit siebzehn Jahren Leiter der Fachstelle Lärmmanagement des Flughafens Zürich. Der Lärmteppich sei in den letzten dreissig Jahren um zwei Drittel der Fläche zurückgegangen, sagt er. Der Teppich weist jene Gebiete aus, in denen mit Belastungen über den relevanten Grenzwerten der Lärmschutzverordnung zu rechnen ist.

Vor allem von 1987 bis 1999 sei die Fläche trotz der Zunahme der Anzahl Flugbewegungen stark zurückgegangen, erläutert Bissegger. Er führt dies auf technologische Fortschritte zurück. Ganz so heil ist die Welt aber auch in Zürich nicht. Derzeit sorgt der zweite Teil des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL), den der Bundesrat voraussichtlich im nächsten Sommer verabschieden wird, für Diskussionen.

Im Fokus stehen die bei Bise und Nebel geplanten Südstarts geradeaus über Teile der Stadt Zürich, die Zürichseeregion und das Zürcher Oberland. Auswirkungen auf den Lärmteppich hätten die Pläne wohl kaum, sagt Bissegger, weil laut dem jetzigen SIL-Vorschlag der prozentuale Anteil an Starts Richtung Süden auch künftig relativ gering sein werde. Zusammen mit den frühmorgendlichen Südanflügen geben sie aber einer bekannten Kritik Nahrung: der Kritik am sogenannten Leq 16, an der rechtlich relevanten Mittelung der Schallenergie durch 16, in Bezug auf das 16-stündige Zeitfenster von 6 bis 22 Uhr. Technisch ausgedrückt ist der Leq ein in Dezibel ausgedrücktes Lärmmass, das sich ergibt, wenn die Schallenergie aller Lärmereignisse summiert und über eine bestimmte Zeitspanne gemittelt wird – im Falle des Leq 16 eben durch 16.

Lothar Ziörjen, Präsident des Fluglärmforums Süd, bringt das Unbehagen so auf den Punkt: «Die Leute empfinden den Leq 16 als zynisch. Sie verstehen nicht, warum sie offiziell keinen Lärm haben sollen, wenn sie am Morgen nach dem ersten Südanflug senkrecht im Bett stehen.» Das Mass möge geeignet sein, um die Belastung durch Autobahnen oder Eisenbahnen auszuweisen, in Bezug auf den Flughafen Zürich zeichne es jedoch ein falsches Bild, da es viele Konzeptwechsel gebe und zum Beispiel der Südanflug nur stundenweise erfolge. Auch für Thomas Hardegger, Präsident des Schutzverbands der Bevölkerung rund um den Flughafen, ist das heutige Vorgehen ungerecht. Fairer wäre seiner Ansicht nach eine Mischung aus Durchschnittswerten und Einzelereignissen über einem gewissen Level.

Für diese Einwände zeigt Bissegger gewisses Verständnis – der Leq 16 sei aber auch im internationalen Umfeld heute das am häufigsten verwendete Mass zur Beurteilung von Fluglärm während der Tageszeit. Der Leq möge ein Kompromiss zwischen der Handhabbarkeit und einem Abbild der Störung sein, er gelte jedoch in der eidgenössischen Lärmschutzverordnung als die massgebende Lärmgrösse für die Beurteilung sämtlicher Verkehrsträger. In den Nachtstunden gelte für Fluglärm zudem ein Ein-Stunden-Leq, also eine Mittelung der Messwerte über lediglich eine Stunde. Dadurch werde das Mass sehr sensibel und reagiere ausgeprägt auf Einzelereignisse – entsprechend stark variierten die Werte. Eine langfristige Raumplanung sei so aber schwierig handhabbar, was auch nicht im Interesse der Gemeinden liegen könne.

Auch der Bund zeigt wenig Enthusiasmus für eine Anpassung. Das Bundesgericht hat 2010 die heutige Praxis zwar infrage gestellt. Im neuen luftfahrtpolitischen Bericht wehrt sich der Bundesrat aber gegen vorschnelle Änderungen. Er schreibt: «Bei der bundesgerichtlich angeordneten Überprüfung der Lärmgrenzwerte in den Tagesrandstunden sind auf die anderen Verkehrsträger abgestimmte Lösungen anzustreben.» Im Klartext heisst dies, wie Urs Holderegger, Sprecher des Bundesamts für Zivilluftfahrt, sagt: «Wir wollen keine Sonderbehandlung für die Luftfahrt. Sollte die Lärmschutzverordnung angepasst werden, müssen Auto, Zug und Luftfahrt gleich behandelt werden.»

NZZ, 02.12.2016