Der Staatsvertrag zum Fluglärm ist kaum noch zu retten (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Vertrag mit Deutschland ist nicht mehr rechtzeitig umsetzbar. Flughafenchef Stephan Widrig verlangt deshalb eine Fristverlängerung.

Von einem Befreiungsschlag war die Rede, als Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) und der damalige deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) im Januar 2012 überraschend einen neuen Staatsvertrag präsentierten. Der sollte endlich eine Einigung im Streit um die Anflüge über Südbaden auf den Flug­hafen Zürich bringen.

Heute, rund dreieinhalb Jahre später, zeichnet sich ab, dass der Vertrag totes Papier bleiben wird. Zwar hat ihn die Schweiz 2013 ratifiziert, in Deutschland aber liegt er auf Eis. Und Alexander Dobrindt (CSU), der Ramsauer 2013 als deutscher Verkehrsminister ablöste, denkt nicht daran, das Abkommen noch vor den Neuwahlen 2017 in den Bundestag zu bringen. Eine Mehrheit fände er dort ohnehin nicht – nur schon, weil sämtliche Abgeordneten aus dem Bundesland Baden-Württemberg geschlossen dagegen sind.

Dabei würde es schon extrem knapp, den Vertrag noch umzusetzen, wenn er morgen ratifiziert würde. Nach 2017 ist es zu spät. Der neue Flughafenchef Stephan Widrig sagt es in seinem ersten grossen Interview klipp und klar: «Die Zeit würde nicht mehr reichen.» Der Vertrag verlangt, dass ab dem Jahr 2020 rund 20 000 zusätzliche Anflüge über den Osten geführt werden. Dafür müssen laut Widrig zwingend die Pisten 28 und 32 verlängert werden – sonst verliere der Flughafen zu viel Kapazität. Umsetzbar sei der Vertrag deshalb nur, wenn genügend Zeit zur Verfügung stehe. Eine Einschätzung, die man im Departement Leuthard und im Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) teilt. Leuthards Sprecherin Annetta Bundi sagt: «Selbstverständlich müssten die im Vertrag enthaltenen Fristen aufgrund der Verzögerung angepasst werden.»

Schweiz drängt nicht

Allerdings macht die Schweiz nicht gerade Druck auf Deutschland – im Gegenteil. Zwar versichert Bundi, Leuthard und Dobrindt seien regelmässig im Gespräch. In Sachen Fluglärm herrscht indes Funkstille, offizielle Gespräche oder gar Verhandlungen gibt es keine. Für Flughafenpolitiker im Kanton Zürich ist der Fall deshalb klar: Es glaubt kaum mehr jemand daran, dass der Vertrag je in Kraft tritt. «Der Staatsvertrag liegt im Koma», sagt Priska Seiler, SP-Kantonsrätin und Präsidentin des Dachverbands Fluglärmschutz. Christian Lucek, SVP-Kantonsrat und Flughafenbefürworter, sieht es ähnlich: «Der Vertrag hat wohl keine Chance mehr.»

Unglücklich ist in der Schweiz kaum jemand darüber, auch wenn ein Staatsvertrag im Vergleich zu heute mehr Rechtssicherheit bringen würde. Flughafen, Bund, Kanton Zürich und die meisten Bürgerorganisationen sagen unisono: «Wir können mit dem Status quo leben.» Der Vertrag verschlechtere die Situation für die Schweiz nur.

Tages-Anzeiger, 05.06.2015



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