«Es geht nicht um Kapazitätsbolzerei» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Moritz Leuenberger kritisiert die Haltung der SP zu den Flughafenvorlagen als inkonsequent

Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger kämpft gegen die Flughafenvorlagen vom 27. November – als Präsident der Swiss-Luftfahrtstiftung. Er kritisiert die Haltung der SP und glaubt, dass der Bund den Willen der Zürcher respektieren wird.

Interview: Hanspeter Mettler / Andreas Schürer

Herr Leuenberger, rund um den Flughafen Zürich ist ein Kampf der Regionen entbrannt, die Lärmfrage dominiert: Würde nicht ein Pistenausbauverbot die Grenzen setzen, die es vielleicht braucht, um die Diskussion zu beruhigen?
Nein, das glaube ich nicht. Ein Ausbauverbot wäre eine unnötige Beschränkung, die wir je nach Entwicklung vielleicht bald bereuen würden. Die Vorlagen sind überflüssig, weil bei jeder Veränderung am Pistensystem im Kanton Zürich ohnehin eine Volksabstimmung möglich ist.

Die Flughafengemeinden argumentieren mit der Planungssicherheit, die nach einer Annahme gegeben wäre.
Wer in allem Ernst den Status quo verewigen will, mag so die Sicherheit der zementierten Unveränderlichkeit erreichen. Aber jede Gesellschaft entwickelt sich. «Zürich ist gebaut», sagte 1988 die damalige SP-Stadträtin Ursula Koch. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung, die sie mit diesem Satz ausgelöst hat. Auch heute dürfen wir uns nicht selber die Hände binden.

Wie soll sich der Flughafen denn entwickeln?
Es geht auf jeden Fall nicht darum, nur die Möglichkeit einer Verkehrszunahme offenzuhalten. Dies ist zwar für die Swiss und den Flughafen auch wichtig. Aber es ist sehr wohl möglich, dass vielleicht Anpassungen des Betriebssystems nötig werden, um die Sicherheit zu verbessern oder die Lärmbelastung zu reduzieren.

Welche Optimierungen meinen Sie?
Das heutige Betriebssystem birgt Risiken, es gab einige Beinahezusammenstösse. Im Bundesamt für Zivilluftfahrt laufen die Gespräche darüber, ob aus Sicherheitsgründen Änderungen vorgeschrieben werden müssen. Ein Thema ist eine Verlängerung der kurzen Ostpiste. Abgesehen davon kann es aber auch sein, dass eine breite Mehrheit in einigen Jahren zum Schluss kommt, der Flughafen Zürich-Kloten solle sich auch kapazitätsmässig entwickeln, zum Beispiel, wenn es leisere Flugzeuge geben wird. Mit einem Nein zu den beiden Vorlagen gibt man dazu jetzt nicht etwa grünes Licht – aber man verbaut sich wenigstens nicht die eigene Entscheidungsfreiheit.

Punkto Sicherheit ist das Pistenkreuz ein Thema. Im Vernehmlassungsentwurf des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL) ist die Parallelpiste nicht mehr enthalten. Muss sie Bundesrätin Doris Leuthard wieder in den SIL aufnehmen?
Das überlasse ich Frau Leuthard. Der Zürcher Regierungsrat hat sich klar gegen eine Parallelpiste ausgesprochen. Ich glaube nicht, dass der Bund das konfrontativ gegen die Zürcher Regierung durchsetzen kann.

Wegen Ihres Engagements gegen die beiden Vorlagen hat die Klotener SP-Kantonsrätin Priska Seiler Graf kritisiert, dass Sie sich auf die Seite des Flughafens stellen. Diesem Vorwurf ist zu entnehmen, dass Ihre Partei grundsätzlich flughafenfeindlich ist.
Nicht alle Sozialdemokraten sind für die beiden Vorlagen. Alle SP-Vertreter in einer verantwortungsvollen Funktion, zum Beispiel die Mitglieder im Regierungsrat, die Zürcher Stadtpräsidentin oder der Tourismusdirektor, sind gegen die Vorlagen. Ich bin mir auch nicht so sicher, wie die Mehrheitsverhältnisse in der Partei wirklich sind.

An der Delegiertenversammlung waren sie eindeutig: Die SP Kanton Zürich hat sich sogar klar für den radikalen Gegenvorschlag ausgesprochen.
Nun gut. Ich war fast 20 Jahre in Exekutiven tätig: Aus solchen Positionen sieht man Zusammenhänge, die an einer Delegiertenversammlung nicht zur Sprache kommen. Aber es geht für mich hier nicht um einen Kampf gegen meine Partei. Wesentlich ist, dass mit einem Ja unsere Swiss zum Nachteil des Standorts Zürichs und der Schweiz beschränkt würde.

Trotzdem nochmals zu Ihrer Partei. Es geht auch um Arbeitsplätze. Der SP wird vorgeworfen, sie habe die Interessen der Arbeiter aus den Augen verloren – ist die Ja-Parole ein Ausdruck davon?
Die SP Schweiz hat sich vor zehn Jahren vehement für die Rettung der Swissair und nachher für den Aufbau der neuen Gesellschaft Swiss eingesetzt – gerade wegen der Arbeitsplätze. Sie hat sich für die Angestellten besonders eingesetzt. Dieses Engagement muss nun konsequent weitergeführt werden. Immerhin hat man 1,7 Milliarden Franken ausgegeben, um die Fluggesellschaft aufzubauen. Damit sie eigenständig bleiben kann, braucht sie einen funktionierenden Hub.

Und dieser soll sich entwickeln können. Sie waren Verkehrsminister, als im Jahr 2004 der Luftfahrtpolitische Bericht erschienen ist. In diesem schreibt der Bundesrat fest, dass eine nachfrageorientierte Entwicklung des Flughafens anzustreben sei.
Ja, aber das muss ich relativieren. Ich habe immer Wert darauf gelegt, und es steht auch explizit im Luftfahrtpolitischen Bericht, dass die Entwicklung nachhaltig sein muss. Es ging nie und es geht auch heute nicht um Kapazitätsbolzerei. Der Flughafen Zürich muss von der Bevölkerung getragen sein.

Trotzdem zeichnet sich ein Konflikt ab: Sie selber haben noch als Bundesrat gesagt, dass man sich Gedanken darüber machen müsse, dem Bund bezüglich Flughäfen mehr Kompetenzen zu geben. Bundesrätin Leuthard sagte vor einigen Wochen das Gleiche.
Jede Infrastruktur, auch die Eisenbahn, birgt die Zielkonflikte zwischen Wirtschaftsinteressen und Umweltbelastung. Der Unterschied ist, dass bei der Bahn die Identifikation traditionell sehr intensiv verwurzelt ist. Die Menschen sind bereit, im nationalen Interesse Eisenbahnlärm in Kauf zu nehmen, zum Beispiel bei Bahn 2000. Der Luftverkehr dagegen ist für die Leute weiter weg. Der Profit für Wirtschaft, Kultur, Bildung und Sport ist nicht so offensichtlich – die Wahrnehmung der Luftfahrt beschränkt sich auf die Nachteile.

Aber die Swissair wurde auch geliebt.
Ja, aber da wurden durch das Grounding viele positive Emotionen zerstört.

Der Konflikt um Kompetenzen ist umso aktueller, wenn die Betroffenen nicht bereit sind, die Nachteile zu tragen: Dann muss sich die Eidgenossenschaft überlegen, ob sie bestimmte Anpassungen erzwingen will.
Ja, das stimmt. Aber ich würde das nun nicht in den Vordergrund rücken. Klar ist, dass der Flughafen Zürich eine Infrastruktur von grösstem nationalem Interesse ist. So gesehen ist es absurd, dass ein Kanton alleine darüber entscheiden kann. Aber es wird in der konsensorientierten Schweiz nie so sein, dass alle Flughafenentscheide in Bern allein gefällt werden. Gegen den Willen des Kantons können keine grösseren Anpassungen durchgesetzt werden. Bei der Neat mussten dem Kanton Uri auch weitreichende Konzessionen gewährt werden. Das wäre im Falle des Zürcher Flughafens nicht anders.

Glauben Sie, dass sich zumindest der Konflikt mit Deutschland bald entspannt?
Ich hoffe es, bin aber skeptisch. Die Deutschen sind in den Gesprächen noch nie so hart aufgetreten wie nach meinem Rücktritt. Es hat offenbar an einem Faden gehangen, dass die bestehende einseitige Beschränkung nicht verschärft worden ist. Nur dank einer Charmeoffensive von Doris Leuthard gegenüber dem deutschen Verkehrsminister Peter Ramsauer konnte dies verhindert werden.

Warum sind die Fronten so verhärtet?
Die Geschichte kennen wir alle: Zum Schaden des Flughafens Zürich und zum Schaden der Schweiz hat das Parlament leider den Staatsvertrag von 2001 nicht ratifiziert. Das war ein politischer Fehler, das ist heute klar, diese Wertung hat nichts mit meiner persönlichen Befindlichkeit zu tun. Die Folge der Ablehnung war die einseitige Beschränkung, gegen die wir uns seither vergeblich wehren. Das Problem der Schweiz war von Anfang an, dass die regionalen und kantonalen Differenzen gross sind, wir treten nicht einheitlich auf. In Deutschland ist es so, dass Berlin auf Stuttgart schaut und Stuttgart auf Hohentengen, und immer finden irgendwo Wahlen statt. So schaffen es einige wenige in Deutschlands Süden, ein ganzes Land politisch in Geiselhaft zu nehmen.

NZZ, 07.11.2011

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