«Die Kapazitätsgrenze ist bereits überschritten» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Für CEO Thomas Kern würde eine Annahme der Flughafeninitiative nicht zuletzt ein falsches Signal nach Bern und Deutschland senden

Im Gespräch betont der CEO des Flughafens Zürich, dass ein Ja am 27. November Schaden anrichten würde. Thomas Kern erläutert, warum eine Entwicklung weiter nötig ist und warum ihn die Situation in Bezug auf Deutschland beunruhigt.

Interview: sho./asü.

Herr Kern, der Abstimmungstermin rückt näher. Steigt auch die Nervosität?
Die Nervosität steigt, aber auch die Gewissheit, dass unsere Anstrengungen zunehmend von guten Signalen begleitet sind. Ich bin heute zuversichtlicher als zu Beginn der Kampagne.

Welche Signale meinen Sie?
FDP, SVP und CVP haben die doppelte Nein-Parole beschlossen, im Süden auch das Fluglärmforum Süd. Und der Verein Flugschneise Süd – Nein hat mit einem beherzten Nein und einem etwas weniger beherzten Ja zu ihrem Gegenvorschlag auch ein klares Signal gesetzt.

Gegner der Vorlagen argumentieren mit Arbeitsplätzen, die der Flughafen bringe. Welche Arbeitsplätze wären in welchem Zeitrahmen konkret betroffen, wenn eine der Vorlagen angenommen würde?
Unmittelbar am Tag nach der Abstimmung ist kein Arbeitsplatz gefährdet. Es geht aber darum, ob sich der Flughafen Zürich und die Schweizer Wirtschaft für die nächste Generation entwickeln können. Damit hängen sehr wohl viele Arbeitsplätze zusammen, sei es direkt am Flughafen, wenn Flüge wegfallen, oder indirekt, weil eine grosse Firma sich unter diesen Umständen nicht hier ansiedelt, sondern zum Beispiel nach München geht.

Die Gemeinden argumentieren mit der Planungssicherheit, die ein Pistenausbauverbot bringen soll. Nach dem Hin und Her der letzten Jahre ist das eine verständliche Forderung.
Das ist verständlich, aber ein Trugschluss. Rechts- und Planungssicherheit bringen nur der Sachplan Infrastruktur Luftfahrt, der sogenannte SIL, und der kantonale Richtplan. Der SIL gibt dem Flughafen den Nutzungsspielraum für die nächsten 25 Jahre vor. Die Grenzen dieses Spielraums geben der Bevölkerung Planungssicherheit für ihre Bedürfnisse: für Bauen und Wohnen.

Der Flughafen hat auch ohne Pistenausbauten Spielraum – moderates Wachstum ist durchaus noch möglich.
Das ist der zweite Trugschluss. Unser Auftrag, die Nachfrage nach Direktverbindungen zu den wichtigsten Metropolen der Welt zu befriedigen, kann nur mit einem leistungs- und entwicklungsfähigen Drehkreuzbetrieb erfüllt werden. Dazu brauchen wir einen starken Heimmarkt, eine genügende Anzahl Transferpassagiere und eine entsprechende Fracht für den Bauch des Flugzeuges. Man kann etwas überspitzt, aber durchaus zutreffend sagen: Ohne Transferpassagiere gibt es keine Langstreckenflüge.

Nicht beantwortet haben Sie das Argument, dass die Zahl der Flugbewegungen noch steigerbar ist.
Das ist richtig. Das System lässt theoretisch 350\'000 Bewegungen zu. Theoretisch deshalb, weil das nur möglich ist, wenn wir über die ganze Betriebszeit das System voll nutzen. In Tat und Wahrheit nützen wir die maximale Stundenkapazität nur vier- bis fünfmal am Tag, nämlich dann, wenn die Passagiere von Europa auf Langstreckenflüge umsteigen und umgekehrt. In diesen Spitzenzeiten ist die Nachfrage schon heute grösser als das Angebot an Slots (Zeitfenster), das heisst, wir haben die Kapazitätsgrenze bereits überschritten.

Harry Hohmeister, CEO der Swiss, hat betont, weitere Beschränkungen würden die Entwicklung der Swiss am Standort Zürich gefährden. Haben Sie Angst, den besten Kunden zu verlieren?
Nein, sicher nicht unmittelbar. Wie auch immer die Abstimmung ausgeht, kurzfristig wird sich nichts ändern. Die Swiss als unser grösster und wichtigster Partner ist hier, weil Zürich einen starken Heimmarkt hat und weil der Flughafen mit seiner Qualität und seinen kurzen Wegen optimale Voraussetzungen für ihr Drehkreuz bietet. Ich bin zuversichtlich, dass die Swiss uns treu bleibt, solange wir diese Voraussetzungen erfüllen. Aber natürlich will die Swiss, dass wir uns nachfrageorientiert entwickeln können.

Und wenn diese Entwicklung blockiert wird – ist dann die Zukunft der Swiss in Zürich gefährdet, wie Hohmeister angedeutet hat?
Ich glaube nicht, weil die Swiss hier gute Voraussetzungen hat und auch in Zukunft vorfinden wird. Ich unterstütze die Swiss aber in ihrem Bestreben, die Möglichkeiten des Systems Zürich besser nutzen zu können. Da sind die Stundenkapazitäten auch im Vergleich mit den umliegenden Hubs, beispielsweise München oder Frankfurt, entscheidend. Um die Stundenkapazitäten zu erhöhen, stehen uns nicht viele Möglichkeiten zur Verfügung. Eine leichte Erhöhung würde der Bau von Schnellabrollwegen bringen.

Der Gegenvorschlag sieht ein stark ausgebautes Vetorecht der Kantonsvertretung im Verwaltungsrat des Flughafens vor. Ist das aus Ihrer Sicht überhaupt umsetzbar?
Die drei Vertreter des Grossaktionärs Kanton Zürich in unserem Verwaltungsrat haben bei lärmrelevanten Themen heute schon ein Vetorecht. Der Gegenvorschlag will das in eine Vetopflicht umbauen. Unsere Entscheidungsprozesse würden dadurch wesentlich erschwert. Als börsenkotiertes Unternehmen kämen wir mit dieser Vetopflicht an die Grenze der Handlungsfähigkeit.

Die Luftfahrt ist an sich Bundessache. Besteht im Falle einer Annahme einer der beiden Vorlagen die Gefahr, dass der Bund in Zürich das Zepter übernimmt, oder wäre das sogar wünschenswert?
Ich möchte es nicht primär als eine Gefahr bezeichnen. Wichtig ist, dass der Kanton und der Bund ihre bestehenden Kompetenzen im Interesse des Wirtschaftsmotors Flughafen nutzen.

Bundesrätin Doris Leuthard hat kürzlich in Frage gestellt, dass das Zürcher Volk die Entwicklung des Flughafens bestimmen kann. Ist für Sie die Abstimmung am richtigen Ort, oder entscheiden die Zürcher etwas, wozu sie eigentlich nichts zu sagen haben sollten?
Wenn das Zürcher Volk tatsächlich, getrieben durch regionale Betroffenheit, dem Flughafen Zürich wesentliche Schranken setzt, die nicht im Interesse des Landes sind, wird der Ruf nach verstärktem Einfluss des Bundes bestimmt stärker. Auf der anderer Seite haben wir immer wieder erlebt, dass der Bund die demokratischen Entscheide des Kantons respektiert.

Es zeichnet sich ab, dass schon bald Engpässe entstehen könnten. Angenommen, Deutschland verschärft tatsächlich wie angedroht die Anflugbeschränkungen, hätten Sie ein ernstes Problem, wenn keine Pistenausbauten möglich sind. Was planen Sie für diesen Fall?
Falls Deutschland die einseitige Bestimmung tatsächlich verschärfen und die Anflüge über deutsches Gebiet auf 80\'000 Bewegungen pro Jahr beschränken würde, muss sich die Schweizer Regierung die Frage stellen, ob sie das hinnehmen und die Kapazitäten verkleinern will. Zudem müsste geprüft werden, ob und wie es möglich ist, mehr Anflüge über eigenes Territorium abzuwickeln. Das würde bedeuten, dass vermehrt über Osten und Süden angeflogen werden müsste und dass die Kapazität des Flughafens Zürich sinken würde.

Welches Signal hat der Ausgang der Abstimmung auf die Gespräche mit Deutschland?
Eine Annahme der Initiative oder des Gegenvorschlags wäre sehr schlecht. Damit würde das Zürchervolk den Deutschen sagen: Wir wollen unser System nicht lärmoptimiert ausbauen. Mit der von uns im SIL-Prozess bevorzugten Variante J opt wäre das aber möglich. Sie sieht Verlängerungen der Pisten 28 und 32 vor und ermöglicht wechselnde Anflüge aus Norden und Osten.

Wie beurteilen Sie die Haltung Deutschlands: Glauben Sie an einen baldigen Durchbruch?
Die Schweiz wird erst Erfolg haben, wenn wir unsere nationalen Interessen bündeln, konsequent vertreten und uns nicht von Region zu Region und von Kanton zu Kanton den Schwarzpeter zuschieben. Das ist die Grundvoraussetzung, um beispielsweise zu einer Paketlösung zu kommen.

Eine Paketlösung lehnt Deutschland vehement ab.
Wir machen es Deutschland auch einfach. Solange wir Schweizer keine einheitliche Position vertreten, sind wir nicht in der Lage, auch nur an ein Paket zu denken. Aber das wäre vernünftig, denn das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland besteht nicht nur aus dem Flughafen.

Sehen Sie denn eine konkrete Möglichkeit in einem anderen Gebiet, um Deutschland entgegenzukommen?
Man hat schon viele Ideen angesprochen, vor allem im Verkehrsdossier. Das ist sinnvoll, aber es steht mir nicht zu, neue Ideen zu generieren. Ich kann nur sagen, dass wir auf der aviatischen Seite eingeschränkt sind. Wir sind heute an einer Grenzbelastung des Systems und können keine weiteren Zugeständnisse machen, ohne das System zu schwächen. Darum braucht es ein Entgegenkommen in anderen Dossiers.

Wenn Sie die Abstimmung gewinnen: Was kommt auf die Bevölkerung zu?
Der Bund wird den SIL-Prozess abschliessen. In der ersten Hälfte 2012 sollte der Bundesrat entscheiden. Wir hoffen, dass die drei noch zur Diskussion stehenden Varianten E DVO, E opt und J opt im SIL noch verankert sein werden. Dann werden wir die Planung der Schnellabrollwege und der Variante J opt an die Hand nehmen. Über Pistenverlängerungen kann die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich dann konkret abstimmen.

Wie steht es um die Südstarts Straight?
Das entscheidet der Bund. Ich kann aber sagen, dass sie im Schlussbericht zum SIL-Objektblatt nur unter einer Bedingung vorgesehen sind: zum Verspätungsabbau, bei Bise und Nebel. In der Planrechnung gehen wir davon aus, dass es nur etwa 1000 Bewegungen pro Jahr ausmachen würde. Zur Erinnerung: Heute wird etwa 12\'000-mal pro Jahr über Süden angeflogen.

Auf Fluglärm wird viel sensibler reagiert als auf Strassen- oder Bahnlärm. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das ist tatsächlich erstaunlich, vor allem wenn man bedenkt, dass sich die Fläche mit Immissionsgrenzwertüberschreitungen durch Fluglärm in den letzten 20 Jahren auf einen Drittel verringert hat. Und trotzdem ist das Thema Fluglärm bedeutender als vor 20 Jahren. Das hat einen Hauptgrund: Seit der Umsetzung der einseitigen deutschen Verordnung im Jahr 2003 werden Menschen im Süden neu und Menschen im Osten mehr belärmt. Das hat die Diskussion angefacht und auch in wenig stark betroffenen Regionen populär gemacht – man spricht ja heute auch in St. Gallen und im Thurgau von Fluglärm.

Sie wohnen in Zumikon, in der Südanflugschneise – wie nehmen Sie dort die Stimmung wahr?
Die Menschen sind nach wie vor enttäuscht, auch verärgert, und zwar weniger über den Lärm als über die Tatsache, wie damals die Südanflüge zustande kamen. Ich stelle aber fest, dass sich im Süden die Erkenntnis durchsetzt, dass ein doppeltes Nein vielleicht die letzte Chance ist, die Situation wenn nicht zu verbessern, so doch zumindest nicht zu verschlechtern.

Wenn die Initiative angenommen wird, könnten Sie als erster Flughafendirektor in die Geschichte eingehen, der den Status quo hinterlässt.
Das wäre für den Flughafen Zürich wie für die gesamte Schweiz ein ganz schlechtes Signal. Im täglichen Geschäft würde sich für uns unmittelbar nichts ändern. Wir verfolgen neben der Aviatik viele Projekte im In- und Ausland, so dass uns die Freude am Geschäft nicht so schnell vergehen würde. Ausserdem sind wir für die Abstimmung zuversichtlich: Das Zürcher Stimmvolk hat schon mehrfach bewiesen, dass es hinter seinem Flughafen steht.


Initiative und Gegenvorschlag

asü.   Am 27. November stimmt das Zürchervolk über zwei Flughafenvorlagen ab. Die von 42 Gemeinden eingereichte Behördeninitiative verlangt, dass Neu- und Ausbauten von Pisten am Flughafen Zürich unterbleiben. Der Verein Flugschneise Süd - Nein geht in seinem Gegenvorschlag über die Initiative hinaus: Er fordert nicht nur ein Neu- und Ausbauverbot von Pisten, sondern auch einen Verzicht auf Schnellabrollwege und eine Aufhebung der Südanflüge. Zudem soll das Vetorecht der Kantonsvertreter im Verwaltungsrat der Flughafen Zürich AG stark ausgebaut und wichtige betriebliche Entscheide erst nach einem referendumsfähigen Beschluss des Kantonsrats gefällt werden können.

NZZ, 03.11.2011

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