Flughafen soll Sache der Zürcher bleiben (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Wird künftig das Schweizer Volk über Flughafenfragen abstimmen? Der Vorschlag von Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) fällt im Kanton Zürich durch.

Kloten – Moritz Leuenberger und Avenir Suisse haben eine Gemeinsamkeit: Sie fordern in der Flughafenpolitik einen radikalen Wandel. Der Bund soll das Szepter übernehmen, der Einfluss des Kantons Zürich schwinden, schlug die wirtschaftsnahe Denkfabrik 2009 vor. Nun bezeichnet es der Sozialdemokrat als Anachronismus, dass der Flughafen durch Zürich allein bestimmt werde. Es wäre sinnvoller, wenn künftig das Schweizer Volk über Flughafenfragen abstimmen würde (TA von gestern).

Mit seinem Vorschlag, der eine Verfassungsänderung nötig macht, findet der Alt-Bundesrat und Präsident der Swiss Luftfahrtstiftung zwar in der Landesregierung Rückhalt. Im Kanton Zürich fällt er aber auf breiter Front durch. Dies zeigt eine Umfrage des TA unter den aktuellen Ständeratskandidaten. Der Tenor: Es kommt nicht infrage, das Mitspracherecht der Zürcher Bevölkerung zu beschneiden – nicht zuletzt weil der Kanton Zürich Miteigentümer des Flughafens ist, wie Christoph Blocher (SVP) anmerkt. Und Änderungen im Richtplan Sache der Kantone sind, wie Thomas Hardegger (SP) ergänzt. Felix Gutzwiller (FDP) findet, der Bundesrat solle in der Luftfahrtpolitik zuerst einmal seine Aufgabe wahrnehmen und die Verhandlungen mit Deutschland zu einem guten Ende bringen.

«Dezidiert anderer Meinung» als Leuenberger ist auch Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP). «Die Zürcher bestimmen heute schon nicht allein über den Flughafen», ruft er in Erinnerung. So lege der Bund etwa die Flugrouten fest. Änderungen am Pistensystem seien hingegen eine Zürcher Angelegenheit; so sehe es das Flughafengesetz vor.

In einem Punkt sind sich Stocker und Leuenberger aber einig: Beide warnen vor einem Verbot für den Aus- und Neubau von Pisten in Kloten, wie dies die Behördeninitiative «Keine Neu- und Ausbauten von Pisten» sowie der Gegenvorschlag des Vereins «Flugschneise Süd Nein» verlangen. Beide Vorlagen wurden von lärmgeplagten Flughafenanrainern respektive -gemeinden lanciert.

Anderes Abstimmungsresultat?

Stocker glaubt nicht, dass sich der Urnengang vom 27. November leichter gewinnen liesse, wenn künftig auch der nicht direkt betroffene Walliser Bergbauer oder die Verkäuferin in Basel abstimmen dürften: «Die Zürcher werden eine massvolle Entwicklung des Flughafens so oder so weiter mittragen.» Stocker betont, der Flughafen lasse sich nur zusammen mit der Zürcher Bevölkerung betreiben, weil diese teilweise stark belastet werde.

Trotz der Kritik: Ganz so abwegig ist Leuenbergers Vorschlag nicht. Ob Schienennetz oder Autobahnen: Bei vielen wichtigen Werken der Infrastruktur hatten einst die Kantone das Sagen. Im Lauf der Jahre verlagerten sich jedoch die Entscheidungskompetenzen auf die nationale Ebene. Just darauf weist Leuenberger hin: dass auch andere nationale Infrastrukturen nationalem Recht unterstünden. Urs Hany (CVP) und Verena Diener (GLP) sprechen von einem falschen Vergleich, weil sich das Bahn- und Autobahnnetz über die gesamte Schweiz ziehe, die Fluglärmbelastung aber regional konzentriert sei.

«Vetorecht für Zürich»

Was dem Kanton Zürich blühen könnte, zeigt sich in der Energiepolitik: Der Bund kann den Kantonen ein Tiefenlager für Atommüll aufzwingen. 2003 strichen die eidgenössischen Räte das kantonale Vetorecht aus dem Kernenergiegesetz, nachdem das Stimmvolk in Nidwalden Pläne für ein solches Lager im Wellenberg 1995 und 2002 abgelehnt hatte. Für Balthasar Glättli (Grüne) wäre der skizzierte Mechanismus auch beim Flughafen inakzeptabel: «Zürich müsste in jedem Fall ein Vetorecht haben.»

Tages-Anzeiger, 11.10.2011, Seite 17