Viel Nichts um Lärm (Weltwoche)

Publiziert von VFSNinfo am
Wie viel Mitleid kann man mit jemandem haben, der sein Haus in die Anflugschneise baut?

Der Protest der Fluglärmgegner ist scheinheilig.

von Daniela Niederberger

Rund um den Flughafen Zürich hat sich eine Protestbewegung gebildet, über die man den Kopf zu schütteln geneigt ist: die Front der Lärmgegner. Die Flughafengemeinden müssen morgens und abends mehr Überflüge hinnehmen, seit die deutschen Dörfer im Schwarzwald den Schweizer Anfluglärm nicht mehr widerstandslos erdulden. Diese Rückverlagerung in die Schweiz akzeptieren die Flughafen-Anrainer nicht. Ganze Kantone begehren auf, neben Zürich auch Schaffhausen, der Thurgau und der Aargau. Zwar befinden sich die Flugzeuge beim Überflug über diese Landschaften noch in grosser Höhe, doch schon das ferne Brummen scheint in der gegenwärtigen Gemütsverfassung zu viel.

Die von den landenden Maschinen direkter Betroffenen proben den Aufstand, es werden Vollversammlungen einberufen und Protestschreiben verfasst. Clever spannt man auch die Medien ein. Die Klotener Eheleute Seiler etwa baten jüngst ein Kamerateam von «10 vor 10» frühmorgens zu sich ins Schlafzimmer. Ihr Leiden am Lärm sollte landesweit dokumentiert werden. Im Filmbeitrag sieht man die beiden friedlich schlafen bis – «wrruummm» – die erste Maschine über dem Haus landet. Frau Seiler springt auf, schliesst das Fenster und legt sich wieder unter die Decke. Wenig später das nächste Flugzeug. Herr Seiler schlägt entnervt die Decke zurück und steuert in Richtung Badezimmer. Kurzinterview am Frühstückstisch, wo sich die Lehrerfamilie inklusive Kinder Mühe gibt, gerädert auszusehen. Frage: «Warum ziehen Sie nicht fort, wenn es so schlimm ist?» Antwort: «Uns gefällt es hier. Das Haus ist neu. Wir wollen nicht weg. Der Lärm muss weg.»

Der Protest ist ebenso unverständlich wie scheinheilig. Der Lärm kann niemanden wirklich überraschen, der in die Nähe eines Flughafens zieht. Besonders die Bürger Klotens nicht, wo sich das Epizentrum des Aufstandes befindet. Kloten hat seit 55 Jahren einen Flughafen – er war schon da, als Lehrer Seiler noch nicht einmal auf der Welt war. Auf einem Flughafen starten und landen Flugzeuge, das macht Krach. Eine unbestreitbare Tatsache. Wer nach Zürich an eine stark befahrene Strasse umzieht, würde sich lächerlich machen, wenn er plötzlich gegen das Heulen der Automotoren und das Quietschen der Trams demonstrierte.

Scheinheilig ist der ganze Krawall deshalb, weil viele, die jetzt aufbegehren, ein Opfer ihrer eigenen Entscheidungen sind. Denn in den letzten Jahren sind ganze Quartiere ausgerechnet in die Anflugschneisen gebaut worden. Man bekam das Land günstig, und so schossen Wohnsiedlungen mit Eigentumswohnungen und Reihenhäuschen aus dem Boden, vor allem in Kloten. Früher waren dort Wiesen und Äcker, über die bei Westwind die Flugzeuge landeten. Die blindwütige Bauerei wurde unter einer ebenso naiven wie egoistischen Grundannahme vorangetrieben: nämlich, dass die reguläre Anflugroute auch noch die nächsten hundert Jahre über Deutschland führt. Und dass bloss bei meteorologischen Sonderlagen über der Flughafenstadt Kloten gelandet wird. Eine fatale Fehlkalkulation, wie sich herausstellte.

Nun schreien die Bewohner des Retortenquartiers mit dem idyllischen Namen «Graswinkel» Zeter und Mordio. Wie viel Mitleid kann man aber mit jemandem haben, der sein Haus in die Flugschneise baut? Man möchte ihm und seinen Leidensgenossen raten, sich etwas Neues zu suchen. Es gibt so viele Orte in diesem Land, wo paradiesische Ruhe herrscht. Doch dorthin wollen sie nicht. Denn der Flughafen bringt zahlreiche Vorteile, weshalb so viele Leute gerne nach Kloten ziehen. Erstens sind die Steuern tief, weil ja der Flughafen schon Millionen in die Stadtkasse zahlt. Zweitens bietet sich eine Vielfalt an Arbeitsplätzen; wer bei der Swissair arbeitete – und das waren viele – durfte zudem jahrzehntelang fast gratis fliegen. Und drittens ist das Netz des öffentlichen Verkehrs hervorragend ausgebaut, von den guten Verbindungen in die weite Welt ganz zu schweigen.

Zu den Sprachrohren der Anti-Lärm-Bewegung gehört manch ein Pilot. Im Arbeitsalltag beschallen sie bei Starts und Landungen Wohngebiete rund um den Globus mit auf Vollschub geschalteten Triebwerken. Nun, wo sie selber beschallt werden, finden sie’s unerträglich. Jahrzehntelang flogen die Maschinen über den Schwarzwald an, den ganzen Tag, im Minutentakt. Auf dem Dorfplatz in Hohentengen konnten sich die Bewohner kaum unterhalten. Hierzulande kümmerte das keine Seele. Dann gaben die Deutschen einen Teil des Schweizer Luftverkehrs dorthin zurück, wo er hingehört: in die Schweiz. Noch immer fliegen allerdings die meisten Flugzeuge über Süddeutschland an.

Die Protestler haben einen helvetischen Lösungsvorschlag: den Krach gerecht verteilen. Die Reichen der Zürcher Goldküste sollen ein bisschen was tragen, die Tösstaler, die Schaffhauser, die Klotener und die Deutschen. Was gut tönt, ist kaum umsetzbar. Die Anflüge müssten in einer Art Rotationssystem koordiniert werden. Das Resultat wäre eine beträchtliche Konfusion bei den Fluglotsen. Wie jeder weiss, der schon geflogen ist: London oder New York werden immer auf derselben Route angepeilt.

Den Lärm-Aktivisten wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als sich mit der unerfreulichen Realität abzufinden.

Daniela Niederberger lebte 24 Jahre lang in Kloten, davon 12 in der Anflugschneise.

Weltwoche, Ausgabe 17, 2003